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Rassistische Polizeigewalt: Offene Fehlerkultur und konsequente Ahndung der Vergehen?

von Büroleiter Hoffmann

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat letzte Woche viel Kritik geerntet, weil sie es gewagt hat, über Rassismus in der Polizei zu sprechen. Der NRW-Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG – bekannt durch den rechtspopulistischen Star-Vorsitzenden Rainer Wendt) sagt „Frau Esken schafft eine Kultur des Misstrauens gegen unsere Polizei und stellt die ganze Polizei unter Generalverdacht”. – Beachtlich, schließlich war der Berliner Vorsitzende der DPolG früher Funktionär bei den rechtsradikalen Republikanern und hat sogar für diese kandidiert. Was kann in Sachen Rassismus größeres Misstrauen schaffen, als einen (zumindest ehemaligen) Rechtsradikalen zum Vorsitzenden eines Landesverbandes zu machen?

Fernliegend scheinen Eskens Überlegungen aber nicht zu sein: Eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen zeigte sich 2017 besorgt darüber, dass der deutsche Staat und insbesondere die Polizei darin versagten, effektiv zu ermitteln und Gerechtigkeit zu gewährleisten, wenn es um rassistische Diskriminierung und Gewalt gegen Menschen mit afrikanischer Herkunft geht. Die Arbeitsgruppe führt zahlreiche Beispielfälle an, die aber auch nur die Spitze des Eisberges bilden dürften. Nach Recherchen der Iniative „Death in Custody“ sind in Deutschland seit 1990 159 Schwarze und People of Color in Gewahrsam umgekommen. Aufgeklärt wird das fast nie.

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2018 wurde Dessau inoffiziell in Oury-Jalloh-Stadt umgetauft.

Oury Jalloh aus Sierra Leone, der am 07.01.2005 in der Zelle eines Dessauer Polizeireviers verbrannt ist? Er wurde ohne konkreten Vorwurf festgenommen, ein Arzt attestierte ihm bei der Einlieferung keine Verletzungen. Wenig später war er tot.
An Händen und Füßen fixiert, soll er die feuerfeste Matratze, auf der der gelegen hat, selbst angezündet haben. Später stellte sich heraus, dass er mehrere Brüche im Schädelbereich hatte. In seinem Blut war kein Kohlenmonoxid, in seiner Lunge kein Rauch. Beim Ausbruch des Feuers muss er mindestens bewusstlos gewesen sein. Experten stellen in Versuchen fest, dass der offiziell angenommene Brandverlauf ohne den Einsatz von Brandbeschleunigern unmöglich war. Das „Beweisfeuerzeug“ tauchte erst Tage später im Labor auf, daran war keine DNA von Jalloh zu finden. Beweise wurden nicht gesichert und verfälscht, Akten manipuliert und vor Gericht gelogen. Der Richter in der ersten Instanz warf den beteiligten Polizisten vor, durch ihre Lügen eine rechtstaatliche Aufklärung unmöglich gemacht zu haben.
Alle Fakten sprechen dagegen – aber die unmögliche Suizid-Variante ist bis heute die offizielle Version. Weil er den Feueralarm mehrfach weggedrückt hat, wurde der damals diensthabende Polizist wegen fahrlässiger Tötung lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt – die auch noch seine Gewerkschaft übernommen hat.
Belastenden Aussagen gegen Polizisten ging die Staatsanwaltschaft nicht nach – stattdessen ging sie mehrfach gegen Belastungszeugen vor.
Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Landtag von Sachsen-Anhalt ist an der Regierungskoalition gescheitert. Momentan beschäftigen sich zwei Sonderermittler mit dem Fall, die noch mal alles aufarbeiten sollen – nach 15 Jahren.

…oder Amad Ahmad aus Syrien. Er soll am 06. Juli 2018 eine Gruppe von Frauen an einem Baggersee bei Geldern belästigt haben. Eines der Mädchen rief seinen Vater, einen Polizisten, an. Seine Kollegen nahmen Amad mit auf die Wache, weil er sich nicht ausweisen konnte. Über seine Fingerabdrücke wurde er identifiziert und die Polizei stieß auf einen Hamburger Haftbefehl gegen einen Amedy G. aus Mali, der unter dem Namen „Amed A.“ auftreten soll. Fotos sind in der Datenbank hinterlegt, der Mann sieht zwar komplett anders aus, trotzdem wurde Amad Ahmad in der JVA Kleve inhaftiert. Später stellte sich heraus, dass dieser Datensatz erst nachträglich manipuliert worden war, um eine „Verwechslung“ zu ermöglichen. Am 17. September 2018 brach unter ungeklärten Umständen ein Feuer in seiner Zelle aus, er starb zwölf Tage später an den Brandverletzungen. Auch hier wird von einem Suizid ausgegangen, obwohl Brandexperten die offizielle Darstellung des Geschehens als unmöglich zurückweisen: Amad Ahmad soll erst nach 15 Minuten Brand in einer winzigen Zelle nach Hilfe gerufen haben – Informanten aus dem Gefängnis berichten von Schreien und unterbliebener Hilfe.
Der Landtag NRW hat einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, den die CDU am liebsten schnell einstellen würde, wahrscheinlich weil NRW-Innenminister und Ex-MdEP Herbert Reul sich fortlaufend in Widersprüche verstrickt.

Eigentlich hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen schon lange eingestellt. Weil Journalisten kürzlich einen Aktenvermerk gefunden haben, aus dem hervorgeht, dass eine Staatsanwältin die Polizei zwei Monate vor dem Zellenbrand auf die „Verwechslung“ aufmerksam gemacht habe, wird nun wieder „eifrig“ ermittelt.

…oder Hussam Fadl. Er kam aus dem Irak, hat dort als Polizist gearbeitet und ist mit seiner Ehefrau und drei Kindern nach Deutschland geflohen. Am 27. September 2016 wurde seine Tochter nahe ihrer Sammelunterkunft in Berlin-Moabit vergewaltigt. Die Polizei nahm den Täter vor Ort fest und brachte ihn zu einem Einsatzfahrzeug, in diesem Moment löste sich Fadl aus der Ansammlung und lief in Richtung des Verhafteten. Drei Polizisten brachten ihn zu Boden und riefen plötzlich „Achtung, Messer“, ließen ihn aber wieder aufstehen. Er lief weiter auf den mutmaßlichen Vergewaltiger seiner Tochter zu, ob aus Wut oder Verzweiflung werden wir nie erfahren, denn die Beamten feuerten von hinten vier Schüsse auf ihn ab. Er starb später an den Verletzungen.
Niemand außer den drei Beamten hat ein Messer gesehen, auch nicht die Polizisten, die beim Verhafteten standen, auf den Hussam Fadl zugelaufen ist. Das Messer tauchte erst später im Polizeifahrzeug der Schützen auf, Fingerabdrücke vom Erschossenen sind darauf nicht zu finden.
Der Mann, auf den Hussam Fadl zugerannt ist, wurde wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Obwohl er ein wichtiger Zeuge ist, wurde er nie befragt und neun Monate nach der Tat abgeschoben.
Das Verfahren gegen die Todesschützen wurde eingestellt und dabei ausschließlich ihre eigenen Aussagen berücksichtigt. Dass niemand sonst ein Messer gesehen hat, spielte keine Rolle.
Die Witwe des Getöteten ging vor Gericht erfolgreich gegen die Einstellung des Verfahrens vor. Obwohl solche sogenannten Klageerzwingungsverfahren fast nie erfolgreich sind (1% Erfolgsquote in Berlin), gab ihr das Berliner Kammergericht am 12. Mai 2018 Recht und wirft der Staatsanwaltschaft vor, nicht hinreichend ermittelt zu haben: „Es steht nicht fest, ob Hussam Fadl zum Tatzeitpunkt überhaupt mit einem Messer bewaffnet war.“
Seitdem liegt das Verfahren wieder bei denen, die vorher schon kein Interesse an einer Aufklärung gezeigt haben. Da die Staatsanwaltschaft sich nicht zu laufenden Ermittlungen äußert, gibt es seit über zwei Jahren keine neuen Erkenntnisse für die Öffentlichkeit. Die Verjährungsfrist für fahrlässige Tötung endet nach fünf Jahren, viel Zeit bleibt nicht mehr.

Auf Saskia Eskens Vermutung, es könnte latenten Rassismus in den Reihen der Polizei geben, entgegnete ihr der Berliner Genosse und Innensenator Andreas Geisel, dass es bei Fehlverhalten einzelner Polizisten eine offene Fehlerkultur und konsequente Ahndung der Vergehen gebe.
Für die Opfer rassistischer Polizeigewalt und die Angehörigen muss eine solche Aussage wie ein Schlag ins Gesicht sein, denn in der Realität gäbe es ohne die energische Arbeit von Familien, privater Initiativen und Journalisten oft gar keine Aufklärung. Viele Innenpolitiker in Regierungsverantwortung, die daran etwas ändern könnten, stecken ihren Kopf in den Sand oder fügen sich vorbehaltlos den Forderungen der Polizeigewerkschaften. Ihre Rückgratlosigkeit macht sie zu Mittätern.

An dieser Stelle können nicht alle Geschichten erzählt werden, aber die Namen der Toten sollen uns trotzdem in Erinnerung bleiben. Sie alle sind auf unterschiedliche Weise durch das Handeln der Polizei ums Leben gekommen:
Rooble Warsame 2019, Matiullah Jabarkhil 2018, Yaya Jabbi 2016, Ousman Sey 2012, Christy Schwundeck 2011, Slieman Hamade 2010, Laye-Alama Condé 2004, Dominique Koumadio 2006, Achidi John 2001, Amir Ageeb 1999 und viele mehr.

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Kleine Denunziation

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