Ein paar höfliche Hinweise meiner Europapolitischen Beraterin
Sosehr man es sich auch WÜNSCHEN mag (und wir gehören ganz sicher zu denen, die das tun), wird der Fall in absehbarer Zeit nicht eintreten, dass die Staaten der EU geschlossen auf den Bezug von Erdgas verzichten. Die jetzigen Mehrheitsverhältnisse in den jetzigen Parlamenten lassen das schlicht nicht zu.
Das ist deprimierend, aber es ist so.
(Wer das ändern will, muss anders wählen. Und zwar nicht: Grün. Smiley)
Resigniert haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Europäische Kommission im Rahmen ihres verlogenen Wirtschaftsförderungsprogramms „Green Deal“ – allen anderslautenden Verlautbarungen, Kalkulationen und ambitionierten „Zielen“ zum Trotz – dergleichen auch gar nicht ernsthaft intendiert.
(Die Kommission errechnet minutiös, um wieviel Prozent der Verbrauch von Gas & fossilen Brennstoffen zur Erreichung der von ihr selbst festgesetzten Klimaziele sinken müsste, um tags darauf eiskalt Projekte der Gas-Industrie zu fördern, die ebendiesen Verbrauch unweigerlich in die Höhe treiben werden. Taratamtam.)
In den nächsten Jahren werden einzelne EU-Staaten – ko-finanziert mit EU-Geldern – den Bau von Atomkraftwerken („Brückentechnologie“) ebenso vorantreiben wie den Bau von Gas-Pipelines und Flüssiggasspeichern. Und das Europäische Parlament wird nicht das Geringste daran ändern können.
In der Vergangenheit wurde das in Brüssel verschiedentlich und aus verschiedenen Gründen (mit Blick auf NordStream 2 etwa auch durch die Novelle der Energieregeln 2019) schon versucht – und zwar mit durchschlagender Wirkungslosigkeit. Denn die deutsche Groko Haram hat es bislang verstanden, jede energiepolitische Maßnahme der EU, jede vom EP verabschiedete Richtlinie erfolgreich zu konterkarieren.
Das ist zweifellos deprimierend, aber es ist eben so.
(Wer das ändern will, muss anders wählen. Und zwar nicht: CDU/SPD. Smiley)
Und etwas anderes kommt hinzu: Energiepolitische Fragen in der EU werden nicht ausschließlich im ökonomischen, noch weniger im ökologischen und erst recht nicht in einem luftleeren Raum verhandelt. Mit derlei Fragen wird Politik gemacht.
Und oft genug ist dabei der Verdacht recht naheliegend, dass die exponiertesten Gegner einzelner Energieprojekte gar nicht aus ökologischen Motiven handeln, sondern aus ökonomischen, ideologischen oder nationalistischen.
NordStream 2 ist ganz sicher ein solcher Fall. Selten wurde eine energiepolitische Entscheidung in diesem Maße mit ideologischen Positionierungen vermischt, wenn nicht gar gänzlich von ihnen überlagert.
Und wenn SIE – aus ökologischer Sicht völlig zu Recht! – gegen eine Fertigstellung von NordStream 2 argumentieren, sollten Sie sich ein paar Fragen stellen. Zum Beispiel die, womit Sie (und ein Großteil der deutschen Medien) sich in den letzten Jahren so beschäftigt haben.
Moralisten, aufgepasst:
Haben Sie je etwas von den allein im vergangenen Jahr in Betrieb genommenen und teils von der EU sogar finanzierten Gas-Pipelines TurkStream oder TANAP gehört?
Das erste Schwesterprojekt zum Russen-Gas aus NordStream 2 ist nämlich schon da.
Es ist, Tätäräää: Russen-Gas aus Turkstream.
Das Gazprom-Projekt TurkishStream transportiert russisches Diktatoren-Gas vom Schwarzen Meer durch türkisches Diktatorengebiet und wird nach seiner Anlandung in der Rechtsstaatswüste Bulgarien nach Süd- und Südosteuropa weiterverteilt – derzeit nach Serbien, Griechenland und Nordmazedonien; Österreich-Ungarn soll folgen.
Die Pipeline wurde am 8. Januar 2020 feierlich eröffnet – und zwar von:
1 Despot, mit dem die EU nicht das Geringste zu tun haben will (Putin),
1 Despot, von dem die EU (im Unterschied übrigens zur neuen Biden-Administration) noch nicht einmal zugibt, dass er einer ist (Erdogan),
1 Despot, den die EU gern aufnehmen möchte (Vucic, Serbien) und
1 weiterer Despot, den sie leider schon aufgenommen hat (Borissow, Bulgarien).
Bisher ist mir noch kein NordSteam 2-Gegner begegnet, der gegen diese seit einem Jahr laufende Belieferung demonstriert hätte.
Im Gegenteil: TurkStream gehörte vielleicht nicht zu den Lieblingsprojekten der letzten beiden Energiekommissare Günther Oettinger (ja, unser alter Kumpel Oettinger) und Maroš Šefčovič; sie hatten aber auch nicht wirklich etwas dagegen. ZwinkerSmiley.
Das zweite Schwesterprojekt zum Russen-Gas aus NordStream 2 ist auch schon da.
Es ist, Tätärätamtam: aserbaidschanisches Diktatoren-Gas aus der Transanatolischen Pipeline TANAP und ihrer Verlängerung, der Transadriatischen Pipeline TAP.
Das gemeinsame Projekt des aserbaidschanischen Staatsbetriebs SOCAR, der türkischen BOTAS und der britischen BP wurde als project of common interest (PCI) der Europäischen Kommission geführt und von der Europäischen Investitionsbank (932 Mio. Euro) sowie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (500 Mio. USD) unterstützt.
Seit gerade erst ein paar Tagen, seit Silvester 2020, leitet sie aserbaidschanisches Diktatoren- und Kriegsverbrecher-Gas vom Kaspischen Meer über Griechenland und Albanien nach Süditalien, ohne dass die NordStream 2-Gegner, Moralisten (oder Grünen?) im EU-Parlament oder anderswo je etwas daran auszusetzen gehabt hätten.
Im Gegenteil: Das Projekt „Südlicher Gaskorridor“ wurde offiziell nicht nur zur „vorrangigen Priorität“ erklärt, sondern nachgerade zum Grundpfeiler der „EU-Strategie für Energiesicherheit“ durch „Diversifizierung der Energieversorgung“ und „Reduzierung der Abhängigkeit von Russland“.
Dass die EU damit die irrwitzige Strategie vertritt und finanziert, ihre Abhängigkeit von EINEM Despoten (Putin) durch die Abhängigkeit von einem ZWEITEN (Alijew) zu ergänzen, bedarf in seiner moralischen Absurdität eigentlich keines weiteren Kommentars.
Am neuesten EU-Vorzeigegas aus Aserbaidschan kleben zwar keine Spuren von Nowitschok, dafür aber mehrere Hektoliter frischen Blutes aus dem erst wenige Wochen alten Vernichtungskrieg gegen die Armenier in Bergkarabach. Herzlichen Glückwunsch, EU!
Und da wären schon an dem Punkt, der unsere nähere Zukunft beschreibt. Das dritte Schwesterprojekt zum Russen-Gas durch NordStream 2 wird längst vorbereitet.
Es ist, Tätäräää: fiesestes Fracking-Gas aus den USA.
Dort nennen sie dieses Gas, bei dem hochtoxische Chemikalien unter Druck in Gestein gepresst werden und dessen extensive Förderung als Hauptursache des globalen Anstiegs von Methan-Emissionen gilt, übrigens noch nicht einmal GIFTGAS, was zwar geschmacklos, aber wenigstens angemessen wäre, sondern „Freedom Gas“. Glückwunsch, USA.
Verschiedene Erdgasprojekte stehen auf der vom Parlament bereits verabschiedeten aktuellen PCI-Liste und werden unabwendbar EU-Fördergelder beziehen – u.a. das Projekt Shannon LNG zur Errichtung einer gigantischen Terminal- und Speicheranlage entlang der irischen Shannon-Mündung, das für die Einfuhr und Zwischenlagerung jenes Fracking-Gases aus Pennsylvania vorgesehen ist, gegen das allerlei Klimaaktivisten seit Jahren verzweifelte Abwehrkämpfe führen.
Betreiber der Flüssigerdgasanlage ist übrigens ein gewisser Wesley „Wes“ Edens, Golfkumpel von Donald Trump und „Kreatur der Wall Street“ (Bloomberg), der es von den Lehman Brothers (DEN Lehman Brothers) über Blackrock (Huhu, FTZFRTZ!) bis zu seiner eigenen Private Equity- und Hedgefondsgesellschaft und dem globalen Exportkracher FREIHEITSGAS gebracht hat.
Dass irgendein NordStream 2-Gegner hierzulande sich bisher daran gestoßen hätte, wäre mir neu.
Und als bräuchte man an dieser Stelle noch ein Crescendo:
Die USA erpressen die EU, um zu verhindern, dass die EU von Russland erpresst wird.
(Philanthropismus zweiter Ordnung. Oder so.)
Also ich weiß wirklich nicht, was von alldem mir lieber ist. Eigentlich nichts.
Innerhalb einer EU-Energiestrategie, die sich kurzfristig nicht ändern wird, sehe ich lediglich die Möglichkeit, zwischen Alternativen zu wählen, die mir alle nicht passen.
Aber wenn ich wählen soll, welches dieser Arschlöcher durch Erdgasgeschäfte mit EU-Staaten gestützt werden soll und welches nicht; wenn ich mich zwischen dem faschistischen Kriegstreiber, großosmanischen Expansionisten & erratischen Wirtschaftsversager Erdogan, dem korrupten Erbdiktatoren-, Kriegsverbrecher- und Völkermordregime von Alijew (und seiner Frau, Frau Vizepräsidentin Alijew), verschiedenen schmierigen Tüpen von der Wall Street und einem vergleichsweise verlässlichen Despoten wie Putin entscheiden könnte, dann würde ich Putin nehmen. Damit wird in der Tat EIN Despot gestützt, aber wenigstens nicht auch noch alle anderen.
Sachdienlicher Hinweis meines palästinensischen Friseurs
„Warum immer planen für Krieg? Warrum nicht treiben Handel mit Russland? Ist Nachbar in Europa“
(Aus „Herr Sonneborn geht nach Brüssel. Abenteuer im Europaparlament“)
In dem Augenblick, in dem an einer aus ökologischer Sicht völlig falschen Grundsatzentscheidung auch durch ein Votum des EU-Parlaments nichts mehr zu ändern ist, überwiegt aus meiner Sicht das politische Argument.
Verstaubte Feindbilder aus der Zeit des Kalten Krieges sind mir glücklicherweise fremd. Sie sind so alt, so primitiv und so verstaubt, dass sie eigentlich jedem fremd sein sollten, der kein CDU-Parteibuch hat.
Und ich meine, dass einer souveränen, nach Maßgabe geopolitischer Aspekte sich positionierenden und am Erhalt eines offenen Friedenszustands interessierten EU mittelfristig etwas Besseres einfallen sollte, als das bedeutendste Nachbarland auf seinem Kontinent bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzupöbeln, zurechtzuweisen, systematisch zu diffamieren oder zu dissen.
Zumal, wenn dieselbe EU sich zeitgleich in der Lage zeigt, mit Faschisten wie Erdogan oder Alijew unter der Überschrift „POSITIVE AGENDA“ zusammenzuarbeiten, als wäre nichts gewesen. Einen medial vermittelbaren Tüp wie Nawalny gibt es in der Türkei nur deshalb nicht, weil alle nennenswerten Oppositionspolitiker längst hinter Gittern sitzen. Und in Aserbaidschan gibt es keinen, weil es in seiner kläglichen Geschichte überhaupt noch nie auch nur einen einzigen Oppositionspolitiker gab.
Wer mit Spinnern wie Erdogan, Alijew, Borissow, Vucic, Orban, Kaczynski und diversen Wall-Street-Eseln kooperiert, zugleich aber behauptet, keine vernünftige Arbeitsbeziehung zu Putin aufbauen zu können, der sollte doch noch einmal ganz von vorne anfangen.
Aus einer rätselhaften Hybris heraus betreibt die EU, soweit es Russland angeht, das genaue Gegenteil der Politik, deren neueres Erbe sie ist. Vielleicht, um ein metahistorisches Gleichgewicht zulasten Willy Brandts herzustellen, vielleicht, weil sie gefangen ist in ihren nickeligen, kleinlichen Voreingenommenheiten oder, vielleicht, ist sie eben auch einfach nur blöd. Ich jedenfalls bezweifle, dass die verbissene ANSPANNUNGSPOLITIK der EU gegenüber Russland die geeignetste Strategie ist, um ein freies und friedliches Leben in Europa zu bewahren.
Und eine ökologisch vernünftige Energiepolitik in der EU kann sicher alles Mögliche gebrauchen, aber eine ideologische oder moralische Instrumentalisierung ganz sicher nicht.