Die wahnsinnige Julian-Assange-Story

UPDATE aus London weiter unten: Das wahnsinnige Dock

Vor zehn Monaten habe ich im EU-Parlament in Straßburg eine Filmempfehlung gegeben: Collateral Murder.
Der Film wurde von Julian Assange auf seiner Plattform Wikileaks veröffentlicht und zeigt, wie US-Soldaten aus einem Hubschrauber heraus auf Zivilisten, Reuters-Journalisten und Kinder schießen.
Für diese Veröffentlichung sitzt Assange unrechtmäßig in London in Haft und die USA haben seine Auslieferung beantragt. Wenn dieses Anliegen Erfolg hat, drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft oder die Todesstrafe. Das hier unten verlinkte Interview des UN-Sonderberichterstatters für Folter Nils Melzer zeigt die bizarren Hintergründe des Falls – nichts für schwache Nerven & überzeugte Demokraten…

Der Prozess startet morgen in London und mein Büro wird ihn begleiten (Die Berichte gibt es unten auf dieser Seite.).

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Hintergründe:

Republik – «Vor unseren Augen kreiert sich ein mörderisches System» Interview mit Nils Melzer, dem UN-Sonderberichterstatter für Folter

ZDF Videobeitrag und Interview mit dem UN-Sonderberichterstatter für Folter

DerStandard – Wie die schwedischen Behörden die Vergewaltigungsanzeige gegen Julian Assange fälschten

lto.de – Interview zum mit Wolfgang Kaleck zum anstehenden Auslieferungsverfahren

DLF – Interview mit dem UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, über die Behandlung von Assange:

heise.de – Europarat: Julian Assange “sofort freilassen”


Büroleiter Hoffmann berichtet aus London:


Das wahnsinnige Dock

Julian Assange sitzt nicht mehr als Straftäter im Gefängnis, seine Strafe wegen des Verstoßes gegen Kautionsauflagen hat er verbüßt. Er ist nun nur wegen des Auslieferungsverfahrens inhaftiert. Das Verfahren um die Auslieferung findet in einem Gerichtssaal statt, der direkt mit dem Hochsicherheitsgefängnis verbunden ist, in dem er untergebracht ist. Der Saal wurde in den letzten Jahren extra hergerichtet, um unter höchsten Sicherheitsbedingungen Terroristen aburteilen zu können. Deshalb sitzen die Angeklagten am Ende des Saales hinter dickem Panzerglas mit vertikalen Schlitzen. Dieser Bereich wird „secure dock“ genannt. Dort verbringt Julian Assange das Anhörungsverfahren – flankiert von Sicherheitskräften.

Zwischen Richterbank und Dock befinden sich drei Sitzreihen, auf denen Anklage und Verteidigung sitzen – natürlich mit dem Gesicht zur Richterin. Die Akustik im Gerichtssaal ist miserabel. Wenn die Verfahrensbeteiligten nicht unmittelbar in ihr Mikrofon sprechen, sind sie teilweise selbst im Saal kaum zu verstehen. Die dauerhaften Lautstärkenunterschiede erfordern ein besonderes Maß an Konzentration – selbst für einen gesunden Menschen. Julian Assange ist psychisch schwer angeschlagen. Er hat Konzentrationsprobleme und nimmt Medikamente, hinter den daumendicken Scheiben ist die Akustik zudem noch schlechter. Assange hat Probleme zu folgen und gibt deswegen immer wieder Zeichen. Ein weiteres Problem ist, dass seine Anwälte ihn nicht sehen können. Wenn er kommunizieren möchte, gibt er Zeichen, die irgendjemand im Saal sieht. Meistens sind das Personen auf der Besuchergallerie, die alle anfangen wild zu winken, damit die Anwälte auf ihn aufmerksam werden.

Am dritten Tag der Verhandlung hat Assange deshalb bemängelt, dass er kaum Kontakt zu seinen Anwälten hätte und wegen der anwesenden Sicherheitskräfte keine vertrauliche Kommunikation möglich sei. „Ich nehme an diesem Verfahren so teil, wie ich an Wimbledon teilnehme.“, war sein Statement.
Die Richterin hatte die Rechtsauffassung, dass er außerhalb des Docks nicht mehr in Gewahrsam des Gerichts sei und deshalb ein Antrag auf Freilassung auf Kaution gestellt werden müsse, wenn er bei seinen Anwälten sitzen wolle.
An dieser Stelle ergriff der Vertreter der US-Regierung das Wort und teilte dem Gericht mit, dass er durchaus Fälle kenne, wo so etwas möglich gemacht wurde. Ein Kautionsantrag sei überhaupt nicht nötig dafür. Die Richterin hat die Angelegenheit auf die folgende Sitzung vertagt.

In der Sitzung am folgenden Tag hat die Verteidigung dann offiziell beantragt, dass ihr Mandant bei ihnen sitzen kann. Zuerst wurde damit aufgeräumt, dass dafür ein Kautionsantrag nötig sei – die Richterin könne auch ohne einen solchen darüber entscheiden. Der Verteidiger führte an, dass solche Docks Grund vieler Debatten seien, weil sie das Recht auf ein faires Verfahren beeinflussen. In den USA baue man sie überall ab. Die Angeklagten hätten Probleme, das Verfahren zu verfolgen und dieses zu verstehen, insbesondere wenn sie psychische Probleme haben. Dazu gäbe es auch einschlägige Rechtsprechung. Herr Assange habe die ersten vier Tage stoisch ertragen, aber die Verteidigung könne ihn schlicht nicht sehen, weil er hinter ihnen sei.
Assange betonte, dass er selbst „Freuden der Gerichtskantine genießen könnte“ und noch in Gewahrsam des Gerichts wäre, weil das alles eine Frage der Überwachung sei. Die „Freuden der Gerichtskantine“ sind ein Seitenhieb auf die britischen Spezialitäten, die jeden Tag auf Styroportellern mit Plastikbesteck zum Mittagessen gereicht werden.
Er rundete den Seitenhieb mit folgender Aussage ab: „Es fühlt sich so an, als ob wir hier alle im Gefängnis sind. Einige von uns sind es aber wirklich.“

Sein Verteidiger hat eine Reihe von Beispielfällen vorgetragen und betont, dass er keine Sonderbehandlung wünsche, sondern ein faires Verfahren, dass allen Menschen nach Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention zustünde. Die Richterin hat den Verteidiger dann schnippisch gefragt, ob die Personen in der dritten Reihe (der letzten vor dem Dock) nicht auch Teil des Verteidigungsteams seien und betont, dass diese nah genug am Dock säßen, damit Assange mit ihnen in Kontakt treten könne. Dass selbst diese mit dem Rücken zu ihm sitzen und ihn deshalb nicht sehen können, blendete die Richterin vollkommen aus.

Um die Situation einschätzen zu können, muss man verstehen, an welcher Stelle des Verfahrens wir uns gerade befinden: In der ersten Woche ging es nur um Eröffnungsstatements und viele juristisch-technische Ausführungen. Mitte Mai soll das Verfahren für drei Wochen fortgeführt werden, dann werden auch Zeugen und Gutachter gehört, sodass ein direkter Kontakt zu den Anwälten deutlich wichtiger wird.

Während der Verteidiger ausführt, dass kein Interesse bestünde, die kommenden Zeugenaussagen ständig zu unterbrechen, um sich mit dem Mandanten zu konsultieren, macht Assange wieder auf sich aufmerksam. Er steht auf und winkt. Sein Anwalt redet weiter, er kann ihn nicht sehen. Die Personen auf der Besuchertribüne fangen an zu winken. Der Anwalt redet weiter, er kann ihn nicht sehen. Aus der hinteren Reihe geht eine Anwältin zu Assange und spricht mit ihm. Der Verteidiger spricht weiter, er ist auf die Richterin konzentriert und bekommt nicht mit, was hinter ihm passiert. Diese Situation hat perfekt das Problem aufgezeigt, was Julian Assange skizziert hat. Er kann nicht einfach seine Anwälte ansprechen, er bleibt für sie während des Verfahrens unsichtbar. Die Richterin unterbricht den Verteidiger an dieser Stelle und sagt, dass dieser Moment ein guter Beweis dafür sei, dass der Kontakt zu den Anwälten gut funktioniere. Es ging ein Raunen durch den Saal. Dieser Moment war exakt das Gegenteil. Assange hat keine Chance, unmittelbar seine Verteidigung zu konsultieren, erneut wurde diese erst durch das Winken der Besucher auf ihn aufmerksam.

Nachdem er die Aufmerksamkeit bekommen hat, hat er persönlich den mangelhaften Zugang zu seiner Verteidigung kritisiert. Die Richterin hat ihm aber einfach – zum wiederholten Male in dieser Woche – den Mund verboten und aufgefordert, Einlassungen nur durch seine Anwälte zu tätigen.
Ein unglaublicher Moment: Für ihn steht seine lebenslange Freiheit auf dem Spiel und er darf das Wort nicht ergreifen, wenn er den Eindruck hat, dass das Verfahren nicht fair sei.

Wenig überraschend hat die Richterin den Antrag auf einen Platz für Assange neben seinen Verteidigern abgelehnt. Sie sei der Auffassung, dass sein Recht auf ein faires Verfahren gewährleistet sei. Sie hätte kein Problem damit, das Verfahren häufiger zu unterbrechen, selbst wenn die zweite Phase des Verfahrens sechs statt drei Wochen dauern würde. Die ersten vier Tage hätten gezeigt, dass eine Unterbringung im Dock praktikabel sei. Ihr wurden angeblich keine „besonderen Aspekte seines Zustandes genannt, die es für ihn nötig machen, den Sicherheitsbereich zu verlassen.“

Das ist schlicht falsch. Die Verteidigung hat dargelegt, warum Julian Assange ein „verletzlicher Angeklagter“ („vulnerable defendant“) ist. Er nimmt Medikamente und hat Konzentrationsprobleme. Wegen der schlechten Akustik kann er manche Teile des Verfahrens nicht verstehen und hat das auch immer wieder zu verstehen gegeben. Er hat keine praktikable Möglichkeit, bei Verständnisproblemen seine Anwälte anzusprechen.

Derweil werden in der Presse vereinzelt Gerichtszeichnungen veröffentlicht, die nichts mit der Realität zu tun haben.
In Wirklichkeit sitzt er wie oben beschrieben im Dock hinter Glas auf einer Bank, einen Schreibtisch gibt es dort nicht, Zugang zu Aktenordnern hat Assange nicht. Ich habe die Bildagentur darum gebeten, die Zeichnung offline zu nehmen und die Kunden darüber zu informieren, dass diese nicht die Wirklichkeit abbildet. Bisher gab es leider keine Reaktion.

Am Ende des zweiten Prozesstages wollte sich einer der Anwälte von Assange verabschieden und hat dafür versucht, ihm die Hand zu reichen, soweit es durch den schmalen Schlitz im Panzerglas des Docks möglich ist. Das haben die Sicherheitskräfte unverzüglich unterbunden. Die Szene steht sinnbildlich dafür, dass das Gericht nicht bereit dazu ist, Julian Assange ein würdiges Verfahren zu gewähren.

Auslieferungsverhandlung Assange Tag 2

Für einen Prozess, der auf der ganzen Welt verfolgt wird, weil es um Pressefreiheit und grundlegende Menschenrechte geht, haben sie einen Gerichtssaal gefunden, der nur über sehr wenige Sitze für Beobachter verfügt. Craig Murray, ehemaliger britischer Botschafter, der fast acht Stunden z.T. im Regen angestanden und einen der Sitze ergattert hat, schrieb: „Woolwich Crown Court ist nichts Anderes als die verkörperte Negation der Unschuldsvermutung, die absolute Inkarnation von Ungerechtigkeit in unnachgiebigem Stahl, Beton und Panzerglas. Es steht genau im gleichen Verhältnis zur Justizverwaltung wie Guantanamo oder Lubjanka. In Wahrheit handelt es sich lediglich um den Verurteilungsflügel des angrenzenden Belmarsh Gefängnisses.“

Auf dem Weg zum Prozess habe ich den Aufgang zur Besuchertribüne passiert und zufällig gehört, dass einer Person gezielt der Zugang zum Besucherbereich verwehrt wurde. Der Mann wurde nach seinem Namen gefragt und ihm wurde ohne Angabe von Gründen mitgeteilt, dass ihm der Zugang zum Besucherbereich untersagt sei. Es handelte sich um den Chefredakteur von Wikileaks, Kristinn Hrafnsson. Nach einem Pressestatement gemeinsam mit dem Vater von Julian Assange vor dem Gerichtsgebäude wurde das Verbot aufgehoben. Bisher wurde keine Begründung gegeben, aber es kursierte das nicht verifizierbare Gerücht, dass die britische Regierung interveniert habe.

Zu Beginn des Verfahrens beklagte sich der Vertreter der US-Regierung darüber, dass Dritte ein Transkript des Verfahrens anfertigten. Ihm wurde angeboten, Zugriff darauf zu bekommen, wenn er sich an den Kosten für die Erstellung beteilige. Das lehnte er ab.

Die Verteidigung hat dann die schlechte Behandlung Assanges im Gefängnis bemängelt. Den Vortag des Prozesses habe er in fünf verschiedenen Hochsicherheitszellen verbracht. (Da werden ja Legehennen besser gehalten.) Elf Mal seien ihm Handschellen angelegt und er sei zwei Mal durchsucht worden. Nach Angaben des Guardian habe er sich dabei jedes Mal komplett ausziehen müssen. Auch sollen gerichtsrelevante Unterlagen konfisziert worden sein.
Das Gerichtsgebäude ist direkt mit dem Gefängnis verbunden, solche Sicherheitsmaßnahmen werden sonst bei Terrorverdächtigen angewandt.

Die Richterin hat betont, dass die Behandlung außerhalb ihrer Zuständigkeit liege und sie nichts machen könne, selbst wenn sie es wollte. Sie hat die Hoffnung geäußert, dass jemand vom Gefängnis das Verfahren verfolge.

Die Verteidigung hat sich dann mit den Vorwürfen gegen Julian Assange auseinandergesetzt.

Die Behauptung, Assange habe geheime Unterlagen von Manning angefordert wurde zurückgewiesen. Vielmehr habe er Manning erst kontaktiert, nachdem sie die Daten veröffentlicht hatte. Manning selbst habe in ihrem Verfahren betont, dass ihr Gewissen sie zur Veröffentlichung getrieben habe.

WikiLeaks habe die erhaltenen Unterlagen nicht unmittelbar veröffentlicht, sondern neun Monate lang mit dem Guardian, dem Spiegel, Le Monde, El Pais und der New York Times zusammengearbeitet. Am Anfang wurden Vertreter des US-State Departements mit einbezogen, um sicherheitsrelevante Informationen zu redigieren und die Namen gefährdeter Personen zu entfernen.

Die Verteidigung hatte gestern den deutschen Journalisten John Goetz als Zeugen für Assanges Umgang mit den Daten benannt. Goetz, heute SZ- und ARD-Journalist, damals als Spiegel-Redakteur mit Wikileaks befasst, hatte Assange bescheinigt, extreme Schutzmaßnahmen ergriffen zu haben, um sensible Daten zu schützen und Namen vor der Veröffentlichung zu entfernen.

Auch ein deutsches Medium habe sich mit dem US-Außenministerium abgestimmt. Der unbearbeitete Datensatz sei verschlüsselt auf einem Wikileaks-Server gespeichert gewesen, die beteiligten Journalisten hätten das notwendige Passwort gehabt. Nach der Veröffentlichung der ersten Unterlagen, bei denen die sicherheitsrelevanten Informationen entfernt worden waren, habe es massive Hacking-Angriffe auf die Server von Wikileaks gegeben. Deshalb hätten Aktivisten mehrere Kopien des Servers (sog. Mirrors) erstellt, um Datenverlust zu vermeiden.
Später, 2011, haben zwei Journalisten des Guardian, David Leigh und Luke Harding, das Passwort, ohne es noch einmal auf mögliche weitere Gültigkeit zu überprüfen, in ihrem Buch „Wikileaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy“ veröffentlicht. Sie gingen davon aus, dass es nur temporär gültig gewesen sei. Mit dieser Annahme lagen sie falsch: Mit dem Passwort konnte der komplette Datensatz auf den Mirror-Servern entschlüsselt werden.

Nachdem Der Spiegel berichtete, dass ihm der komplette, unbearbeitete Datensatz zugespielt wurde, habe Julian Assange persönlich das Weiße Haus kontaktiert und vor einem dringlichen Notfall gewarnt: Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die kompletten Datensätze im Internet auftauchen würden. Im Weißen Haus – erklärte Assanges Verteidiger – habe man Assange gebeten, ein paar Stunden später noch mal anzurufen. Assange sei daraufhin wütend geworden: „I dont understand, why you can’t see, this is an emergency. Unless we do something, people’s lives will be put at risk.“

Wie befürchtet, wurden die Daten wenig später vollständig veröffentlicht. Zuerst auf der in den USA beheimateten Plattform Cryptome. Dort sind sie immer noch abrufbar, rechtliche Schritte dagegen wurden bis heute nicht (!) eingeleitet.
Erst nachdem die Daten, verschuldet durch die Passwort-Veröffentlichung der Guardian-Journalisten, in Gänze und unbearbeitet an anderer Stelle veröffentlicht waren, wurden sie auch auf Wikileaks zur Verfügung gestellt.

Die US-Regierung habe diesen Sachverhalt in ihrer Anklage komplett unerwähnt gelassen.

Weiterhin wurde erneut Stellung dazu bezogen, dass Assange Manning dabei geholfen haben soll, ein Passwort zu knacken. Manning hätte aber auch ohne Passwort vollumfänglichen Zugang zu Daten gehabt, weil diese nicht gesondert gesichert waren. Die Verteidigung hat auf das militärgerichtliche Verfahren gegen Manning verwiesen, in dem als Beweis eingebracht wurde, dass Manning an ihrem Stützpunkt als IT-Spezialistin gegolten habe. Unter den Soldaten wäre es üblich gewesen, dass diese sich Administrator-Zugriffe verschafften, um damit unautorisierte Software (z.B. Spiele) installieren und Filme sehen zu können. Es sei sogar dokumentiert, dass Vorgesetzte sich von Manning solche unautorisierte Software haben installieren lassen.
In der von der US-Regierung angeführten Kommunikation zwischen Assange und Manning sei zwar darüber gesprochen worden, dass Manning ein Passwort knacken wollte – nicht aber wozu sie es verwenden wollte. Vielmehr sei ihr System kurz vor dem gemeinsamen Gespräch zurückgesetzt worden, sodass es möglich sei, dass sie sich wieder einen Administrator-Zugang verschaffen wollte, um – wie vorher- Software installieren zu können.

Die Verteidigung schloss deshalb mit folgender Frage: „Ist das Auslieferungsersuchen eine gerechte Reflektion der Tatsachen, die der US-Regierung bekannt sind? Die Antwort ist offensichtlich nein.“

Die Anklage hat darauf geantwortet, dass viele der vorgebrachten Punkte lediglich Unterstellungen seien. Die Aussagen Mannings in ihrem Verfahren seien eigennützig, außerdem habe sie Assange ohnehin immer wieder helfen wollen. Ein weiterer Beweis gegen Assange sei dessen Reaktion auf Mannings Hinweis, sie habe keine weiteren Informationen: Assange habe gesagt, „neugierige Augen trocknen niemals aus“. Das wertet die Anklage als Beweis dafür, dass Assange zum Ausspähen von Daten aufgefordert habe.

Das Verfahren wurde an dieser Stelle für den Tag unterbrochen, weil ein geschwächt wirkender Julian Assange Konzentrationsprobleme hatte. Die Verfahrenstage sind selbst für einen freien und gesunden Menschen unglaublich anstrengend, es lässt sich nur erahnen, wie schrecklich es für Julian Assange sein muss.

Auslieferungsverhandlung Assange Tag 1

Die Verhandlung findet etwas abseits der Innenstadt im Woolwich Crown Court am Rand der ehemaligen Hafengebiete im Osten Londons statt. In einer Gegend, die sich gerade charmant vom Niedergang des Hafenwesens erholt, befindet sich das Hochsicherheitsgefängnis, in dem Julian Assange für den Verstoß gegen Kautionsauflagen inhaftiert ist. Um den Anfahrtsweg für ihn zu verkürzen, wurde die Verhandlung in ein Gerichtsgebäude verlegt, das direkt mit dem Gefängnis verbunden ist.

Die Vereinigten Staaten von Amerika beantragen seine Auslieferung, um ihm in den USA in 18 Anklagepunkten den Prozess machen zu können. Am ersten Verhandlungstag starteten sowohl die Anklage als auch die Verteidigung mit ihren Eröffnungsstatements.

Überschattet wurde der Prozess leider von erheblichen technischen Problemen. Der Gerichtssaal verfügt nur über eine Ersatzmikrofonanlage, die für ihr Funktionieren ein Besprechen der Mikrofone aus unmittelbarer Nähe erforderlich macht. Darauf haben Anklage, Verteidigung und Richterin über weite Phasen der Verhandlung verzichtet, was ein Verfolgen der Argumente teilweise erschwert hat. Besonders schwere Konsequenzen hat das für die Journalisten, die keinen Platz mehr im Saal bekommen haben und in den „media annex“, einen Baucontainer mit Livestream, umziehen mussten. Dort war streckenweise überhaupt nichts zu hören. Die schlechte technische Vorbereitung und Begleitung des Prozesses, die eine seriöse Berichterstattung für viele Medienvertreter unmöglich macht, ist insbesondere im Kontext eines Verfahrens um Pressefreiheit besonders tragisch.

Die Anklage hat betont, dass es bei der Auslieferung nur um die Veröffentlichung von Daten ging, die Namen von vertraulichen Quellen enthielten. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass die Anklage Julian Assange nicht für einen Journalisten hält.

Inhaltlich gab es keine neuen Einlassungen, allerdings wurde Bezug darauf genommen, dass Assange in den USA bis zu 175 Jahre Haft drohen. Um dies zu entkräften, wurden „ähnliche“ Anklagen angeführt, die mit 42 bis 63 Monaten Haft endeten. Wobei es selbst bei der 63 Monate langen Haft für die Whistleblowerin Reality Winner nur um einen Anklagepunkt ging – bei Assange geht es um 18 Punkte.

Bei der Anklage geht es ganz grob darum, dass Assange vertrauliche Dokumente auf Wikileaks veröffentlicht und mit der Whistleblowerin Chelsea Manning zusammengearbeitet haben soll, um ein Passwort für Zugriff auf weitere Dokumente zu knacken.
Dabei zeichnet die Anklage das Bild einer konspirativen Zusammenarbeit zum rechtswidrigen Erlangen von Dokumenten und bezieht sich dabei auf sichergestellte Kommunikation zwischen Assange und Manning.

Immer wieder wurde betont, dass die Veröffentlichung von Unterlagen vertrauliche Quellen in Gefahr gebracht hat, darunter Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Dissidenten und Diplomaten. Allerdings kann die US-Regierung selbst fast zehn Jahre nach der Veröffentlichung keinen einzigen konkreten Fall benennen, in dem eine Person tatsächlich Schaden genommen hat. Die Anklage quittiert das mit der Aussage, dass es nicht die Aufgabe der US-Regierung sei, zu beweisen, dass es einen tatsächlichen Schaden gab.

Das eröffnende Statement der Verteidigung bemüht sich um die Klarstellung, dass es sich um ein politisch motiviertes Verfahren und nicht um die Aufklärung von Straftaten geht. Eine Auslieferung aus politischen Gründen würde gegen das Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Großbritannien verstoßen.
Dafür wurde ein recht präzises Bild über die Entwicklung des Falles gezeichnet. 2013 wurde unter Präsident Barack Obama entschieden, nicht gegen Assange vorzugehen, weil es gleichbedeutend einer verfassungswidrigen Strafverfolgung aller Journalisten wäre, die geleakte Staatsdokumente veröffentlichen.
Der damalige Sprecher des US-Justizministeriums sagte 2013 dazu: “If you are not going to prosecute journalists for publishing classified information, which the department is not, then there is no way to prosecute Assange.”
In den USA wurde bis heute für solche Veröffentlichungen auch noch kein Journalist belangt.

Ein weiterer Fokus lag auf Präsident Trumps gestörtem Verhältnis zur Presse im Allgemeinen, die er öffentlich als „Oppositionspartei“ und „Volksfeind“ bezeichnet hat.
Später im Verfahren sollen Beweise dafür vorgebracht werden, dass Trump dem damaligen FBI-Direktor Comey mitgeteilt haben soll, dass er ein Exempel statuieren soll, um Whistleblower abzuschrecken.

Das ist besonders brisant, weil Donald Trump über einen Mittelsmann Julian Assange eine Begnadigung angeboten haben soll, für den Fall, dass er die Quelle für die im Wahlkampf veröffentlichten Mails der Demokraten preisgeben würde – nur um Trump im Müller-Report zu entlasten. Assange hat abgelehnt.

Weiterhin plant die Verteidigung, Beweise dafür vorzulegen, dass die US-Regierung Assange während seines Aufenthalts in der Botschaft von Ecuador in London ausspioniert hat. Das für die Botschaft zuständige Sicherheitsunternehmen Undercover Global soll Kameras und Wanzen installiert haben, sodass selbst Gespräche mit Anwälten abgehört werden konnten.

Die Verteidigung hat außerdem darauf hingewiesen, dass eine Auslieferung an die USA schon wegen schlechten psychischen Zustandes und erhöhter Suizidgefahr ihres Mandantens rechtswidrig wäre.

Die Verteidigung schließt mit den Worten: „Julian Assange erwartet ein Leben im Gefängnis – wegen des Veröffentlichens wahrheitsgetreuer Informationen aus öffentlichem Interesse. Wenn die Wahrheit zum Landesverrat wird, bekommen wir alle Probleme.“