Notizen zu Bergkarabach

Gespräche über Frieden mit dem damaligen Präsidenten der Republik Artsakh, Bako Sahakyan

Von meiner Europapolitischen Beraterin (kennt sich aus) und mir

The past is never dead. It’s not even past.
Das Vergangene ist niemals tot. Es ist noch nicht einmal vergangen.
William Faulkner der Ältere

In die weit verzweigten Hintergründe des Konflikts um das Gebiet Arzach (Bergkarabach) kann sich jeder einlesen, der das möchte.

Die Kurzfassung lautet so:

Armenien und Arzach (Bergkarabach) markieren die multiple Nahtstelle zwischen Europa und Asien, Christentum und Islam, Demokratie und Diktatur.

Das seit Urzeiten von Armeniern bewohnte Gebiet geriet in den Sog der seit 1920 betriebenen Sowjetisierung des Südkaukasus durch die Rote Armee. (Nicht die Fraktion, die andere.)

Am 4. Juli 1921 verfügte das zuständige Kaukasische Büro des ZK die Zusammenführung des zu 94% von Armeniern bewohnten Gebietes Arzach mit der neu gegründeten armenischen SSR. Was sowjetische Funktionäre & kleinliche Kaukasusexperten seinerzeit vorfanden, nennt man heute ein zusammenhängendes (armenisches) Siedlungsgebiet.

Und das wäre es auch geblieben, hätte sich nicht ein bärtiger Besserwisser aus Georgien eingemischt. Sein Name war Iosseb Bessarionis Dschughaschwili – was seine Mutter sich verständlicherweise nicht merken konnte und ihn deshalb zärtlich mit seinem späteren Kampfnamen „Stalin“ anbrüllte (“Staliiiiin, komm ruff!”). Aus einem vorzeitig abgebrochenen Pauschalurlaub reiste er im Juli 1921 in seiner damaligen Funktion als „Volkskommissar für Nationalitätenfragen“ höchstpersönlich an, um den ergangenen Beschluss zu revidieren. Er packte das Gebiet notdürftig in internationalistisches Geschenkpapier und überreichte es einem Irren aus Baku.

Damit schlug Stalin ein Gebiet, das überwiegend von Überlebenden des Völkermords an den Armeniern durch das Osmanische Reich 1915/16 bewohnt war, der Hoheit des mit diesem aufs Engste verbundenen Bruderstaates der aserbaidschanischen Türken zu. Eine – schon auf den ersten Blick – brillante Idee. Ungefähr so brillant wäre es gewesen, den Staat Israel als abhängige Provinz unter die Oberhoheit des Iran zu stellen. Oder Attila Hildmann zum epidemiologischen Chefberater zu berufen.

Jedenfalls gehörten Arzach und Armenien vor 100 Jahren für knapp 24 Stunden zusammen, bevor sie (vom versierten Völkerrechtsfan und Sympathieträger Stalin) wieder getrennt wurden. So hatte ich mir die deutsche Einheit eigentlich auch vorgestellt. Smiley

Der alte Fuchs hatte sich mit einem Schlag die Muslime Zentralasiens (und v.a. den aufstrebenden Atatürk) gewogen gemacht und die Perspektive auf eine unterhaltsame Machtsicherung begründet (Hashtag Popcorn, Hashtag divide et impera) durch die vorprogrammierten anhaltenden Grenzkonflikte (Hashtag Bumm!) zwischen den betroffenen Staaten.

So wurde die „Autonome Region Nagorno-Karabakh“ innerhalb der Aserbaidschanischen SSR im Juli 1923 gegründet. Während der gesamten Sowjetzeit hat sie wiederholt höflich um die ihr zugesagte „Wiedervereinigung“ mit Armenien gebeten. Jeder ihrer Anträge wurde von Moskau, das weniger am Glücksbarometer einer Handvoll Bergarmenier als am Erhalt des Status Quo interessiert war, zuverlässig abgelehnt (Hashtag Njet, lieber nicht).

Aus der Wiederholung ihrer Forderung nach Wiedervereinigung im August 1987, für die Zehntausende Armenier Petitionen zeichneten und so frühesten Gebrauch von den durch Glasnost veränderten politischen Möglichkeiten machten, entwickelte sich der erste ethnopolitische Störfall in der Reformperiode unter Gorbatschow, Prost! (Moskau verweigerte dem Gebietstransfer seine Zustimmung und versuchte stattdessen, die Situation durch Investitionszusagen zu beruhigen. Smiley. Doch da war es schon zu spät.) Der Konflikt um Arzach machte ERSTMALS die Zerfallserscheinungen des sowjetischen Vielvölkerstaates nicht nur unübersehbar, sondern trug zum Zusammenbruch der Sowjetunion wenigstens ebenso stark bei wie die Ereignisse in den baltischen Ländern. (Estland, Lettland, Litauen, die Reihenfolge kann man sich leicht merken, weil sie ihre geographische Lage freundlicherweise alphabetisch sortiert haben, von Nord nach… Pardon wir schweifen ab.)

Drei Tage, nachdem Aserbaidschan seine Unabhängigkeit von der SU erklärt hatte, erklärte Arzach seine Unabhängigkeit von Aserbaidschan (2.9.1991). Und das auch noch in völliger Übereinstimmung mit dem noch geltendem sowjetischen Recht, das jeder Autonomen Region das Recht einräumte, sich von einem neu gegründeten Staat loszulösen.

Überraschungsfrei reagierten die Autoritäten in Baku mit der Aufhebung der arzachischen Autonomie (21.11.1991). Arzach konterte mit der Organisation eines Referendums. 108.615 Wähler stimmten der Unabhängigkeit zu. Bei 24 Gegenstimmen. (Über Enthaltungen ist nichts bekannt.)

Darauf folgte ein drei- oder vierjähriger Krieg, der von Arzach durch militärstrategisches Geschick und mit armenischer & russischer Unterstützung unverhofft gewonnen wurde. Seither ist die Situation um die Waffenstillstandsvereinbarung von 1994 herum eingefroren, ohne je aufgelöst worden zu sein. Ein Friedensvertrag wurde nicht unterzeichnet. Der Minsk-Gruppe der OSZE (unter Vorsitz von Frankreich, Russland und den USA), für die dieser Konflikt nie zu den vordringlichsten zählte, hat darin über drei ergebnislos verlaufene Jahrzehnte eine halbherzige Friedensvermittlung simuliert.

HE, GEOPOLITISCHE KOMMISSION VONDERähmLEYEN, SCHON PLÄNE FÜR DEN KAUKASUS?

Nach dem Zerfall der SU war es Leitlinie der Internationalen Politik, die unter der – zeitgleich als autoritäres „Unrechtsregime“ apostrophierten – Sowjetherrschaft entstandenen Staaten in ihrer seinerzeit entstandenen Form und mit den seinerzeit entstandenen Gebietsverteilungen für alle Zeiten festzuschreiben.

Wenn die heutige Staatengemeinschaft den seinerzeitigen Status Quo nun aber vorbedingungslos als legitime Rechtsgrundlage anerkennt, dann legalisiert sie damit nachträglich jede willkürliche Gebiets- und Grenzentscheidung eines von ihr selbst als nicht satisfaktionsfähig eingestuften Terrorregimes.

((An Gebieten, Grenzen, Staatlichkeit möglichst nicht zu rütteln – aus Angst vor einem unbeherrschbaren Ausbruch ethnisch motivierter Territorialkonflikte – war aus Sicht der internationalen Gemeinschaft sicherlich ZWECKMÄSSIG. GERECHT oder MENSCHENFREUNDLICH war es in vielen Fällen sicher nicht.))

Das Völkerrecht der Staatengemeinschaft stößt genau hier an seine offensichtliche Sinngehaltssgrenze (oder seinen dialektischen Umschlagspunkt), wenn es mit den willkürlichen, bösartigen oder machtpolitisch motivierten Territorialzuteilungen irrer Diktatoren wie Stalin oder Chruschtschow nichts anderes anzufangen weiß, als sie in den Status verbindlichen „Völkerrechts“ zu überführen. Zu einem solchen Zweck wurde das Völkerrecht nämlich nicht geschaffen.

Dieses Völkerrecht, auf das ausgerechnet das Menschenrechtsparadies Aserbaidschan (Spaß) sich nun krakeelend berufen kann, wurde – soweit ich weiß – als Freiheits- und Friedensinstrument geschaffen, nicht als Mittel zur Wiederherstellung der autoritären Herrschafts- und Unterdrückungsstrukturen eines undemokratischen Bananenregimes. Und erst recht nicht als deren wohlfeiler Kriegsvorwand.

Wenn unser VÖLKERRECHT nämlich nicht mehr zum Schutz DERER taugt, die ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit, Frieden und Demokratie führen wollen, sondern JENEN den unwiderlegbaren Vorwand liefert, DIESE nach religiösem, ethnischem oder ideologischem Gutdünken einfach platt zu machen, dann stimmt etwas nicht mit ihm. Ebenso wie mit denen, die sich darauf berufen.

Wenn Völkerrecht dieser Tage dazu missbraucht werden kann, eine Gruppe freiheitsliebender Menschen im Südkaukasus, die sich in 30 Jahren eine beneidenswert fortschrittliche Demokratie aufgebaut haben, unter die Herrschaft eines primitiven, nationalistischen Erbdiktators zurückzuzwingen, dann ist es kaputt.

Und wenn die EU nicht weiß, auf wessen „Seite“ sie in diesem „Konflikt“ zu stehen hat, dann ist sie auch kaputt.

In der von der sogenannten Völkergemeinschaft (im Gegensatz zum Kosovo) nicht im Geringsten anerkannten Republik Arzach leben 150.000 Menschen auf 11.458 km² (paar Fußballplätze), die sich der Prekarität ihres Staates und ihrer gesamten Existenz bewusster nicht sein könnten. Die Annahme, sie könnten das millionenfach größere, millionenfach bevölkertere, bis an die Zähne bewaffnete (Huhu, Rheinmetall!) und von der bellizistischen Türkei angefeuerte Aserbaidschan zur jüngsten Konflikteskalation provoziert haben, hat einen ähnlichen Plausibilitätsgrad wie die kontrafaktische These, Polen hätte durch einen Überfall auf den Sender Gleiwitz am 31. August 1939 tatsächlich seine eigene Besetzung ausgelöst.

Aserbaidschan ist eine kleptokratische, korrupte, durch und durch rückständige Diktatur, die der Tüp Alijev von seinem Vater geerbt hat & in der seine Ehefrau die stärkste Opposition darstellt, mit einem durch Erdölerlöse hochgerüsteten Militär (1,7 Mrd. Dollar jährlich; huhu, Mercedes!), hinter dem 1 faschistischer Kriegstreiber steht: Erdogan hat durch seine panislamisch gemeinten Eroberungsfeldzüge bereits militärische Eskalationen in Syrien, im Irak und in Libyen zu verantworten, ohne dabei auf nennenswerten Widerstand einer zerfallenden internationalen „Gemeinschaft“ gestoßen zu sein. Sogar die EU-Mitglieder Zypern und Griechenland konnte er offen mit Invasion bedrohen, ohne dass die zwischen Wirtschaftsinteressen, Flüchtlingsdeal und sicherheitsarchitektonischen Stratagemen orientierungslos hin und her taumelnde EU auch nur zur geringsten (wirtschaftlichen) Sanktion fähig gewesen wäre. Nun mischt der Irre vom Bosporus mit dschihadistischen Söldnern aus Syrien und europäischem Kriegsgerät (Huhu, Rheinmetall & Mercedes!) eine weitere Region auf, an der die EU nur mit Blick auf die Ablage analytischer Konzeptpapiere im Ordner „Östliche Nachbarschaftspolitik (unerledigt)“ interessiert ist.

Derweil betreibt Deutschland hinter den Kulissen weiter seine obskure Obstruktionspolitik. Zur weltweiten „Überraschung“ wurde Zypern gerade von Merkel mitgeteilt, Deutschland werde Sanktionen gegen die Türkei NIEMALS zustimmen, da diese ja „völlig wirkungslos“ und bloße „Symbolpolitik“ seien. Spätestens jetzt möchte man fragen, warum die EU dann so versessen darauf ist, „völlig wirkungslose Symbole“ gegen Russ- und Weißrussland zu verhängen. Und während die deutsche Presse ihre Leser verständnislos fragt, warum blöde zypriotische Querulanten so stur Weißrussland-Sanktionen blockieren, frage ich: WARUM ZUM TEUFEL BLOCKIERT DEUTSCHLAND DENN ANDAUERND SANKTIONEN GEGEN DIE TÜRKEI?

In seinem Job als RatspräsidentIN hat Deutschland damit schon versagt. Möge niemand mehr vom lieblichen europapolitischen Sinneswandel der Bundeskanzlerin (kurz vor Antritt ihres Ratsamtes) sprechen. Denn mit ihrem Appeasement gegenüber der Türkei bringt sie nicht die Union und erst recht nicht deren außenpolitische Handlungsfähigkeit voran, sondern instrumentalisiert die EU – wie immer – für ihre egoistischen, schmierigen und völlig uneuropäischen Wirtschaftsinteressen. Eine überzeugte EU-Hoodieträgerin ist A. Merkel auf ihre alten Tage eben nicht mehr geworden. Sie ist und bleibt die politische Fadenalge im europäischen Teich und der deutsche Fels in seiner wirtschaftlichen Brandung.

Die nahe Zukunft wird wohl bringen, dass Russland mit den angrenzenden Regionalmächten (Zwinkersmiley) Türkei und Iran und unter Ausschluss der durch Minsk bisher noch beteiligten westlichen Kräfte irgendeine „Konfliktlösung“ herbeiführen wird. Eine geopolitische EU sollte vielleicht bei Gelegenheit darüber meditieren, ob sie es wirklich Russland überlassen will, ein Krisengebiet nach dem anderen neu zu ordnen.

Die gute, alte oder ehrenwerte Staatengemeinschaft hätte diese erneute Eskalation im Südkaukasus wohl problemlos verhindern können, wenn sie es in den letzten 30 Jahren einmal über sich gebracht hätte, die sympathische Faktizität dieser demokratischen Bergrepublik anzuerkennen.

P.S.: Erkennt die EU eigentlich Alijew als „legitimen“ Dauerherrscher seines korruptionsdurchsetzten Trümmerstaates an? Und, wenn ja: warum?

P.P.S.: Wie würden die politischen Akteure der westlichen Welt mit all ihrem unverkäuflichen Schneid und all ihren unverkäuflichen Werten wohl zu diesem Konflikt stehen, wäre Arzach nicht Arzach, sondern der, die oder das Kosovo?

P.P.P.S.: Der Bürgermeister der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, Hajibala Abutalybov (o.s.ä.) teilte einer politischen Delegation aus Bayern (FCKCSU-Smiley!) 2005 mit: „Unser Ziel ist die vollständige Auslöschung der Armenier. Ihr Nazis habt doch die Juden in den 1930er und 1940er Jahren ausgelöscht, oder? Ihr solltet also in der Lage sein, uns zu verstehen.“

Wir sind da übrigens ganz sicher. Denn dafür, dass eine Türkei, die mit dem Genozid an den Armeniern den ersten Völkermord der modernen Geschichte zu verantworten hat, nun massiv die Kriegstrommel gegen Armenien rührt, verhält sich Deutschland ziemlich zurückhaltend. Ebenso zurückhaltend wie vor 105 Jahren. (Vgl. Google, Seite 378 ff.)

P.P.P.P.S.: Dass korrupte Abgeordnete der Unionsparteien wie Karin Strenz (CDU, MdB) oder Eduard Lintner (CSU, Ex-MdB) sich für Geld und Geschenke auf die Seite der Aserbaidschaner schlagen und als Wahlbeobachter “weitgehend gefälschte Wahlen” (BR) zu demokratischen erklären, die “deutschen Standards entsprechen”, ist seit Jahren bekannt. Im Europarat hat Strenz längst lebenslanges Hausverbot, in der deutschen CDU interessiert die Angelegenheit niemanden. Aber auch SPD-Mitglieder haben offenbar von Einladungen und Geschenken aus Baku profitiert. Der Alijev-Clan verfügt über Ölmilliarden und erhält trotz eines offiziellen Rüstungsembargos Waffen von Rheinmetall und militärische Nutzfahrzeuge von Mercedes.
In den vergangenen Jahren soll Aserbaidschan eine Milliardensumme an westliche Politiker und Journalisten ausgeschüttet haben. Hartmut Bäumer, Vorsitzender von Transparency International Deutschland: “Die Art und Weise, wie Aserbaidschan versucht, die Meinungsbildung mit Geld zu beeinflussen, ist schon atemberaubend…”

P.P.P.P.P.S. Dieser Text ist völlig ohne finanzielle Unterstützung des Irren aus Baku entstanden. Smiley

Assange Auslieferung – Hauptverhandlung

Büroleiter Hoffmann berichtet wieder aus London

 

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Eine Klarstellung zum Anfang: Es gibt immer wieder Kritik an Julian Assange als Person und zu seinen Aussagen. Daraus ziehen einige Menschen die Schlussfolgerung, dass es verwerflich sei, das Verfahren kritisch zu begleiten und Öffentlichkeit für den Sachverhalt zu schaffen. Hier geht es aber nicht um eine inhaltliche oder charakterliche Bewertung der Person Assange, es geht um die Garantie eines rechtsstaatlichen Verfahrens und die Sicherung der Pressefreiheit. Julian Assange soll ausgeliefert werden, weil er Dokumente veröffentlicht hat, die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen dokumentieren. Was bedeutet es für die Zukunft unserer Demokratie, wenn Journalisten mit lebenslanger Haft rechnen müssen, weil sie Fehlverhalten von Regierungen aufdecken? Auch deswegen setzen sich Organisationen wie Reporter ohne Grenzen für den Fall ein (Pressemitteilung). Oder wie die New York Times schreibt: “Mr. Assange ist kein Held. Aber dieser Fall stellt jetzt eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit und damit die Widerstandsfähigkeit der amerikanischen Demokratie selbst dar.” (Zitat übersetzt – Original)

Und solange Großbritannien an der Entscheidung beteiligt ist, betrifft es die Demokratie in Europa gleichermaßen. Darum geht es in diesem Fall und um nichts Anderes.

Nun geht es weiter im Verfahren: Nach den Anhörungen im Februar (Hintergrund) war der Termin der Hauptverhandlung eigentlich für den Mai angesetzt, dieser ist an der Corona-Pandemie gescheitert. Morgen beginnt diese Hauptverhandlung endlich. Julian Assange ist weiterhin im Belmarsh Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert, dieses Mal wird aber nicht dort verhandelt, die Verhandlung wurde in das höchste Strafgericht des Landes verlegt – den Central Criminal Court (Old Bailey) im Zentrum Londons. Continue reading “Assange Auslieferung – Hauptverhandlung”

Gedanken zu Schlingensief

Ich erhielt eine Bitte, mir ein paar Gedanken zu Schlingensief zu machen. Bitte sehr:

Schlingensief tot, immer noch? Vielen Dank, dass Sie mich daran erinnern. Schlingensief & Schirrmacher tot, Döpfner & Andi B. Scheuert leben; und das in diesen zunehmend dämlicher werdenden Zeiten.

Ich habe ihn nur einmal persönlich getroffen. Wenn ich mich recht erinnere, war es irgendwann nach der Jahrtausendwende in einer unbeschwert lauen Sommernacht gegenüber der Berliner Volksbühne. Ich war vollkommen betrunken, suchte mit meinem linken Fuß sicheren Stand und setzte mit dem rechten gerade zu einer fulminanten Kapitalismuskritik an, als ich Schlingensief direkt auf mich zukommen sah.

Wir waren uns nie vorgestellt worden, ahnten aber offenbar zumindest, wer der jeweils andere war. Schließlich hatten wir das Land unter uns aufgeteilt, er filetierte den Westen, wir mit „Titanic“ den Osten. Grüßen oder nicht grüßen, das war für mich die Frage, schließlich gehörte er zu den wenigen Künstlern die ich respektierte, er arbeitete mit Komik, Klugheit, satirischen Mitteln, einem gesunden Kaliber an Aggression.

In einer Kunstaktion für die Deutsche Bank Geldscheine vom Balkon des Reichstages werfen zu wollen („Rettet den Kapitalismus – schmeißt das Geld weg!“) und dann von Brigitte Seebacher-Brandt gestoppt zu werden; mit Zehntausenden von Arbeitslosen den Wolfgangsee zu überschwemmen, um dadurch Helmut Kohls nahegelegenes Ufer-Domizil zu fluten; überhaupt: „Tötet Helmut Kohl!“; der „Big-Brother“-Container mit Asylsuchenden in Wien nach Haiders Regierungsbeteiligung; eine eigene Partei namens „Chance 2000“ zu gründen und damit die Grenzen zwischen Kunst und Politik zu zerbröseln – was für wunderbare Ideen!

Seit 15 Jahren bin ich Vorsitzender einer sog. Satire-Partei. Und weiß, wie viel Freude empörte Reaktionen von verstörten Verwaltungsbeamten bereiten können.
Um die Reaktion des damaligen Bundeswahlleiters Johann Hahlen, der später auch die PARTEI zur Bundestagswahl zulassen musste, beneide ich Schlingensief.
Nachdem er die überschuldete „Chance 2000“ kurz vor der Bundestagswahl im Kleinanzeigenteil der „taz“ zum Verkauf angeboten hatte, erklärte der Bundeswahlleiter humorlos: „Die Gesetze lassen eine Veräußerung nicht zu.“ Und drohte für den Fall, dass die Partei sich stattdessen auflösen sollte, dass die aufgestellten Kandidaten im Falle ihrer Wahl trotzdem in den Bundestag einziehen müssten. Smiley!

Schlingensief grüßte mich herzlich, ich ihn ebenfalls. Was wir geredet haben, weiß ich nicht mehr. Nur noch, dass anschließend auch der zweite und dritte Tritt den pompösen linken Außenspiegel der silbernen S-Klasse absolut unbeeindruckt ließen.