Coudenhove-Kalergi

Ein Gastbeitrag von Klaus Ungerer

Heute wollen wir über Coudenhove-Kalergi sprechen. Kennen Sie nicht? Ist vielleicht auch besser so. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi (1894-1972) gilt, wie man auf der Seite des Europaparlaments in tadelloser Genitivkonstruktion nachlesen kann, als „Vater des demokratischen Zusammenschlusses Europas“. Er war 1950 erster Träger des Aachener Karlspreises, und späterhin wurde nach ihm selbst ein Preis benannt, den auch Angela Merkel gern entgegen genommen hat, wobei von ihr allerdings überliefert ist, sie habe am Tag der Preisverleihung etwas verschnupft gewirkt. Vielleicht war sie wirklich angeschlagen in der Zeit, vielleicht war ihr politischer Instinkt ein wenig verrotzt für den Moment, vielleicht war sie auch einfach nur schlecht beraten, oder niemand hat sich die Mühe gegeben, den Mann, Coudenhove-Kalergi, zu googeln. Immerhin hat Papa Kohl den Preis ja auch angenommen, und vor ihm vorbildliche Europäer wie Strauß oder Juncker, und zwischendurch wurde Yehudi Menuhin der Preis auch noch umgehängt, als er schon tot war und nicht mehr googeln konnte.

Den Vater des demokratischen Zusammenschlusses Europas zu recherchieren, lohnt sich, ist aber etwas schwierig. Denn die Verschwörungswillis und -waldburgas haben das Erbe Coudenhove-Kalergis für ihre ganz eigenen Zwecke vereinnahmt, denen hier nicht weiter nachzugehen lohnt, was aber doch ein Indiz ist: Eine schillernde Persönlichkeit ist der Herr gewesen, höflich gesagt. Coudenhove-Kalergi stammt aus diversen europäischen Adelsgeschlechtern sowie von einer japanischen Händlerfamilie ab, sein erstes Wort soll „polyglott“ gewesen sein. Gearbeitet hat er natürlich nie, dafür aber reichlich schwadroniert. Jedes Jahr kam ein Buch heraus, wenn es gut lief, und alle Bücher waren weitgehend frei von nachweisbaren Fakten, auf denen sich irgend eine Argumentation aufbauen ließe – sie waberten im Stil der Zeit sich hin, vielleicht ein wenig mit den Fantasiegebilden Rudolf Steiners vergleichbar. In den Büchern wurden natürlich die ganz großen Menschheitsthemen gewälzt und gelöst, wenn nicht überhaupt erst erfunden, und sie hatten ansprechende Titel wie „Ethik und Hyperethik“, „Krise der Weltanschauung“, „Los vom Materialismus“, „Held oder Heiliger“, „Totaler Mensch – totaler Staat“. Wenn man in all dem Brimborium eine Mitte suchen will, dann hat wohl das Buch „Pan-Europa“ als zentrales Werk zu gelten, in dem C-K, ganz Geistesaristokrat, den bescheidenen Wunsch äußert: „Dieses Buch ist bestimmt, eine große politische Bewegung zu wecken, die in allen Völkern Europas schlummert.

Da Bücher oft die Eigenheit haben, in Regalen zu stehen und zu verstauben, statt politisch aktiv zu werden, beschloss Coudenhove-Kalergi, die große politische Bewegung, die in allen Völkern Europas schlummert, der Einfachheit halber selbst zu wecken. Er hatte ja auch sonst nichts zu tun. So kam die Welt in den Genuss der Pan-Europa-Bewegung, die aus einem halbwegs gut konnektierten Adligen mit großen Flausen im Kopf bestand, der mindestens so gut Klinken putzen wie Bücher schreiben konnte. Also, Klinken putzen konnte er jedenfalls gut… Und während unser Held jetzt also einige Jahre lang herumreist und mit Vorliebe Expolitiker einsammelt, die sich über jede Aufmerksamkeit freuen, und während die real existierende politische Bewegung namens NSDAP rasch noch den Kontinent verwüstet, wollen wir doch zumindest mal einen kurzen Blick wagen in die Schriften des Vaters des demokratischen Zusammenschlusses Europas. Etwa in das Buch „Praktischer Idealismus“ von 1924. Da bekommt man Einblicke, was für Gedanken sich, Gewitterfronten gleich, durch den Schädel des großen Mannes wälzten, ich zitiere:

„Was die Juden von den Durchschnitts-Städtern hauptsächlich scheidet, ist, dass sie Inzuchtmenschen sind.“ – „Das Chaos moderner Politik wird erst dann ein Ende finden, bis eine geistige Aristokratie die Machtmittel der Gesellschaft: Pulver, Gold, Druckerschwärze an sich reißt und zum Segen der Allgemeinheit verwendet. Eine entscheidende Etappe zu diesem Ziel bildet der russische Bolschewismus, wo eine kleine Schar kommunistischer Geistesaristokraten das Land regiert und bewusst mit dem plutokratischen Demokratismus bricht, der heute die übrige Welt beherrscht.“ – „Von der europäischen Quantitätsmenschheit, die nur an die Zahl, die Masse glaubt, heben sich zwei Qualitätsrassen ab: Blutadel und Judentum. Voneinander geschieden, halten sie beide fest am Glauben an ihre höhere Mission, an ihr besseres Blut, an menschliche Rangunterschiede. In diesen beiden heterogenen Vorzugsrassen liegt der Kern des europäischen Zukunftsadels.“

Ende Zitate. Noch jemand da? Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, urteilt Sozialhistoriker Michael Pammer, war mit all seinem Gebrummel vor allem Opportunist. Er florierte in der Weimarer Zeit. Wurde nach dem Krieg zum Paten der „Europäischen Idee“ aufgepumpt. Zwischendurch fand er Mussolini knorke. Wohin sein Fähnlein auch wehte, eine Idee zieht sich durch bei ihm: die vom „Adel“. Dass es eine Elite von Menschen gebe, die allen anderen Menschen qua „Blut“ überlegen seien, und deren Herrschaft allen demokratischen Bestrebungen vorzuziehen sei. Als sie ihm den Karlspreis umhängten, lobte er die Idee eines vereinten Europas nicht etwa als demokratisches, aufgeklärtes Vorzeigemodell – sondern als Erneuerung eines „gewaltigen Reiches“, des „europäischen Kaiserreiches“ von Karl dem so genannt Großen. Dessen wonniges Europa leider Gottes seinerzeit „zerrissen“ worden sei in eine französische, eine deutsche und eine italienische Nation.

Historische Fußnote, der Kerl? Vielleicht ja. Aber vielleicht lernen wir an seinem Beispiel tatsächlich etwas über den Geist, der die EU hat zustande kommen lassen, und über jene „europäische Idee“, die gern zitiert, selten definiert, und noch seltener empfunden und gelebt wird: Ein politischer Opportunist ist also ihr Vater. Ein Mann, dessen größtes Talent der Lobbyismus war. Und der Europa als Verfügungsmasse einer polyglotten, abgeschotteten Oberschicht erträumte. Wir verbeugen uns vor ihm! Eine andere Sprache versteht er eh nicht. Und anders kommen wir nicht an seine Schnürsenkel ran, um die kurz mal zusammen zu binden.