Kurze Einschätzung zu den Vorgängen um ePrivacy – von Dustin Hoffmann
Im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) wurde seit längerer Zeit die Verordnung über Privatsphäre und elektronische Kommunikation (ePrivacy-Verordnung) verhandelt. Bei dieser handelt es sich im Groben um eine Erweiterung der neuen Datenschutzgrundverordnung für die digitale Welt, die ab Mai 2018 angewendet werden muss. Die ePrivacy-Verordnung beschäftigt sich mit folgenden Kernthemen:
- 1. Keine Datenverarbeitung ohne Einverständnis
2. Einfacher Schutz vor Online-Tracking
3. Privacy by Default
4. Grenzen für Offline-Tracking
5. Recht auf Verschlüsselung
6. Mehr Transparenz über staatliche Zugriffe
- (Gute Übersicht von netzpolitik.org)
In einer öffentlichen Konsultation der Europäischen Kommission haben sich bis zu 90% der Befragten für Inhalte ausgesprochen, die in der Verordnung enthalten sind – insbesondere für die Möglichkeit auch Nachrichten und Telefonate über das Internet zu verschlüsseln (Quelle).
In dieser Materie stoßen zwei Welten aufeinander: die Datenschützer stehen auf der einen Seite, die unternehmensfreundlichen Abgeordneten auf der anderen. Letztlich geht es nämlich darum, ob Unternehmen ohne große Hürden Daten von Nutzern sammeln dürfen, um diese wirtschaftlich (bspw. durch Werbung) zu verwerten. Im zuständigen Fachausschuss hat die Berichterstatterin versucht, die unterschiedlichen Positionen in Kompromissen zusammenzufassen. Nachdem ein solcher Report abgestimmt ist, kann der Ausschuss mit absoluter Mehrheit direkt das Verhandlungsmandat erteilen, damit das Parlament mit den anderen Institutionen in Verhandlungen treten kann. Die datenschutzfreundliche Allianz aus Linken, Grünen, Sozialdemokraten, Liberalen und zwei Mitgliedern der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung verfügt über 30 Stimmen – bei einer Ausschussgröße von 60 Mitgliedern. Für die absolute Mehrheit sind also 31 Stimmen nötig. Sich des Umstandes bewusst, haben die Konservativen (EPP-Fraktion, in der auch die deutschen CDU/CSU Abgeordneten sind) die Verhandlungen um die Kompromisse kurz vor der Abstimmung im Ausschuss abgebrochen. Sie gingen davon aus, dass sie die Kompromisse, für die eine einfache Mehrheit reicht, nicht verhindern können, dafür aber das Verhandlungsmandat. Es herrschte ein harter Ton, um die Datenschutzallianz zu diskreditieren: Der CDU-Abgeordnete Axel Voss verglich die Gegenseite gar mit dem iranischen Wächterrat (Quelle).
Einen Tag vor der Abstimmung hat uns die Anfrage erreicht, ob wir als Fraktionslose irgendwie in der Angelegenheit behilflich sein können. Herr Sonneborn ist aber Mitglied in den Ausschüssen für Kultur und Bildung sowie für Auswärtige Angelegenheiten, er kann also eigentlich nicht im LIBE-Ausschuss abstimmen. Dort sitzt Udo Voigt (NPD, Nazi) und als Ersatzmann ein griechischer Rechtsradikaler der Goldenen Morgenröte. Nach kurzer Recherche hat sich aber herausgestellt, dass wir mit förmlicher Erlaubnis der Verwaltung abstimmen dürfen, wenn die eigentlichen Mitglieder nicht erscheinen. Am Tag der Abstimmung haben wir darauf spekuliert, dass Udo Voigt in Deutschland die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpfen muss und keine Zeit für LIBE hat. Mit der ausgedruckten Erlaubnis ging es also zur Abstimmung. Zur Erinnerung: für die absolute Mehrheit fehlte genau eine Stimme.
Zur Überraschung der Konservativen ging die finale Abstimmung 31 zu 24 aus. Mit unserer Stimme war die absolute Mehrheit erreicht.
Wenig begeistert vom Ausgang dieser Abstimmung hat die konservative Allianz aus der ECR und EPP-Fraktion in der folgenden Woche versucht, das Verhandlungsmandat über einen selten genutzten Paragraphen der Geschäftsordnung wieder zu entziehen. Ohne das direkt erteilte Verhandlungsmandat hätte es eine erneute Abstimmung im Plenum geben müssen, bei der der ursprüngliche Text wieder hätte aufgeweicht werden können. Genau darauf hatten es die Konservativen abgesehen. Mächtige Industrieverbände hätten Zeit gewonnen, Druck auf Abgeordnete auszuüben und ihre Weltuntergangsszenarien für die Wirtschaft noch weiter zu spinnen. Dabei scheint es den Konservativen vollkommen egal zu sein, dass sich in der oben erwähnten Konsultation bis zu 90% der Befragten für die Inhalte der Verordnung ausgesprochen haben.
Am 26.10.2017 wurde nun der oben genannte Einspruch abgestimmt. Mit 318 zu 280 haben die Abgeordneten sich dafür entschieden, das Mandat des Ausschusses beizubehalten. Das Parlament geht also gestärkt in die Verhandlungen mit dem Europäischen Rat, wobei es dort schwierig weiter gehen wird.
Michal Boni aus Polen, der für die EPP die Verhandlungen im Ausschuss geführt hat, hat nach der Abstimmung auf den enormen Lobbydruck in dieser Angelegenheit hingewiesen. Er belässt es aber nicht bei der Kritik an den Datenschutz-Organisationen, er teilt auch gegen die unwahren Darstellungen der Wirtschaft aus. Vielleicht hätte die EPP gut daran getan, diesen Kollegen zu unterstützen, anstatt ihn zum Abbruch der Kompromissverhandlungen zu drängen.
Axel Voss hat sich stattdessen eine rhetorische Perle bis zum Schluss aufgehoben. Nach der Abstimmung bezeichnete er die Gewinnerseite als „Digital-Gutmenschen“. Seine Rhetorik gewährt Einblick in die verkümmerte Realität eines Politikers, der den Anschluss an die Bevölkerung längst verloren hat.