Am 05. April gegen 22:25 Uhr wird bekannt, dass Boris Johnson wegen seiner Covid-19-Erkrankung in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Um 22:48 Uhr postet Martin Sonneborn dazu auf Twitter:
Boris Johnson im Krankenhaus;
British Humour.
ZwinkerSmiley!— Martin Sonneborn (@MartinSonneborn) April 5, 2020
Zur Einordnung: Boris Johnson wollte in der Corona-Krise ursprünglich auf die sog. Herdenimmunität (Hintergrund) der britischen Bevölkerung setzen und hat sich damit gerühmt, weiter Hände von Corona-Infizierten zu schütteln. Im Kontext der Aussage seiner Biografin, Sonia Purnell, im Telegraph, lässt sich dieses Verhalten besser erklären: “Er hat eine sehr seltsame Einstellung zu Krankheit. Er war intolerant gegenüber allen, die krank waren. Bis jetzt hat er eine sehr robuste Verfassung gehabt. Er war bis jetzt noch nie krank und dies wird ein großer Schock für ihn sein. Sein Blick auf die Welt ist, dass Krankheit für schwache Menschen ist.”
„British Humour“ bezieht sich für mich klar auf Johnsons Verhalten zur Pandemie. Ein kurzer Blick in die Wikipedia verrät, dass prägende Merkmale des britischen Humors Sarkasmus und Selbstironie sind. Was soll denn sarkastischer und selbstironischer sein, als dass der Mann, der seine komplette Gesellschaft durchseuchen und damit hundertausende Tote in Kauf nehmen wollte, um die Wirtschaft zu schützen, selbst an vorderster Front davon betroffen ist? Wie man darin den Wunsch eines schweren Krankheitsverlaufes oder gar des Ablebens für Johnson sehen kann, bleibt mir schleierhaft. Vielleicht hätte ein „Get well soon!“ klarstellend gewirkt. Jedenfalls erntet der Tweet schon an dieser Stelle Kritik, die sich aber in einem normalen Rahmen hält. Am 06.04. um 10:42 Uhr schiebt Sonneborn folgende Erläuterung hinterher:
Ich glaube, Boris Johnson hat der Welt mehr Gewalt angetan als ich ihm mit einem kleinen Tweet. Ein bisschen Schadefreude, dass es bei der Schaffung von „Herdenimmunität“ den dämlichen Leithammel als erstes erwischt, sollte auch gestattet sein… Smiley
— Martin Sonneborn (@MartinSonneborn) April 6, 2020
Am Abend des 06.04. gegen 19 Uhr wurde Johnson vorsorglich auf die Intensivstation verlegt. Die Dynamik auf Twitter hat sich anschließend stark verändert. Es wurde Kritik aus dem bundespolitischen Umfeld laut.
Am 07.04. um 1:18 Uhr schreibt Matthias Hauer MdB (CDU):
Ich wünsche Boris #Johnson eine schnelle und gute Genesung. @MartinSonneborn wünsche ich den Hauch von Empathie, den es benötigt, um zu erkennen, wie widerlich seine Tweets zu der Infektion sind, sowie den Hauch von Charakterstärke, um sich dafür zu entschuldigen. https://t.co/LCAiqGqyAI
— Matthias Hauer (@MatthiasHauer) April 6, 2020
Am 07.04. um 8:46 Uhr folgt Konstatin Kuhle MdB (FDP):
Martin Sonneborn ist der Xavier Naidoo der politischen Satire. Er war schon immer furchtbar. pic.twitter.com/xV7xZfV8Ta
— Konstantin Kuhle (@KonstantinKuhle) April 7, 2020
Um 11:29 Uhr beteiligt sich auch Florian Hahn MdB (sv. Generalsekretär CSU):
Menschenverachtung unter dem Denkmantel der Satire. Mit Schadenfreude zu prahlen, obwohl ein Mensch auf der Intensivstation um sein Leben kämpft, sagt alles über die Geisteshaltung des Abgeordneten @MartinSonneborn. #COVID2019de #Europe #PrayForBoris 🇪🇺🇬🇧🇩🇪 https://t.co/G0Zi3zGlWb
— Florian Hahn (@hahnflo) April 7, 2020
In den Kommentaren unter dem Tweet von Konstantin Kuhle entbrennt inzwischen eine recht reflektierte Debatte darüber, ob der Vergleich mit Xavier Naidoo angemessen sei.
Auffällig bei allen drei Tweets ist die recht hohe Beteiligung von Accounts, die augenscheinlich eher dem rechten Spektrum zugeordnet werden können. Das überrascht bei Kuhle und Hauer, weil eigentlich kein Verdacht besteht, dass diese Verbindungen in rechte Twitter-Bubbles haben könnten. Insbesondere Kuhle dürfte als Bürgerrechte-Liberaler kein sonderlich hohes Ansehen in rechtspopulistischen Kreisen genießen. Bei Florian Hahn ist es weniger verwunderlich, weil sein Tweet sich klassisch-rechtspopulistischen Werkzeugen bedient: Er verbreitet Fake News. Boris Johnson hat bisher nicht „um sein Leben“ kämpfen müssen und die zitierte Erklärung wurde nachgeschoben, bevor Johnson auf die Intensivstation verlegt wurde.
Am Ende des Tages habe ich die Retweets der drei Beiträge daraufhin analysiert, ob es sich bei den retweetenden Accounts um solche handelt, die ansonsten auch rechtspopulistische Inhalte verbreiten (AfD, rechte Influencer, etc.).
Zum Zeitpunkt der Untersuchung hatte Matthias Hauers Tweet 51 Retweets. 27 davon verbreiten ansonsten auch rechtspopulistische Inhalte, eine Quote von 53 %. Bei Kuhle ließen sich von 135 Tweets nur 58 nachvollziehen, weil der Rest ausgeblendet war. Von diesen 58 waren 25 auffällig, also 43 %. Bei Florian Hahn waren es mit 30 von 52 gut 58 %.
Aber auch aus dem journalistischen Umfeld gab es Kritik, am 6. April um 22:42 Uhr schaltet sich auch Springer-Stil-Experte Ulf Poschardt ein:
ZE GERMAN schadenfreude daissiewieder: kein herz, kein stil, keine klasse. so wie man deutschland kennt
— Ulf Poschardt (@ulfposh) April 6, 2020
Seine Rechte-Retweet-Quote liegt mit 26 von 61 immerhin noch bei 43 %. Er kritisiert auf WELT Online später, dass Martin Sonneborn für seinen Tweet in der „linken Verbitterungsblase viel Applaus“ bekommt. Hoffentlich ist er stolz auf seinen Applaus aus der rechten Ecke, der er sich an dieser Stelle als Multiplikator hergibt.
Marc Felix Serrao von der NZZ hat am Morgen des 7. April um 8:19 Uhr folgenden Tweet abgesetzt:
Das hat er falsch verstanden. Britischer Humor ist self-deprecating. Sich einen Menschen vorzunehmen, dem es schlecht geht, das ist, well, sehr deutsch. https://t.co/ShXXCD6QkG
— Marc Felix Serrao (@MarcFelixSerrao) April 7, 2020
Inhaltlich ist der Vorwurf, Martin Sonneborn hätte etwas falsch verstanden, natürlich besonders amüsant, wenn man bedenkt, dass er „British Humour“ natürlich auf Johnson bezieht und nicht auf sich selbst. Wir wollen es Serrao nachsehen, es war noch früh. Bei ihm lassen sich von 144 Retweets 80 analysieren. 39 von diesen 80 verbreiten auch rechtspopulistische Inhalte: Eine Quote von 49 %.
Diese Quoten sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Empörung außerhalb der rechten Twitter Bubble gibt. Es ist das gute Recht aller Beteiligten, den Tweet von Martin Sonneborn schlecht zu finden und das entsprechend zu artikulieren.
Für viele aus dem rechten Spektrum ist Boris Johnson ein Held des Nationalismus, der sein Land mit blankem Populismus aus der gehassten EU geführt hat. Seine Beliebtheit in dieser Gruppe von Menschen hat ein gut organisiertes Netzwerk von Rechtspopulisten aktiviert, welche die Beiträge bürgerlicher Politiker als Einfallstor für Angriffe und das Verbreiten von Fake News missbrauchen: Der böse, linke Sonneborn wünscht ihrem Nationalismus-Helden Krankheit und Tod. Getan hat er das an keiner Stelle.
Immunisieren kann sich gegen solche rechte Übernahmen niemand. Sobald sich zufällig ein Interesse angleicht, ruft es die rechte Bubble auf den Plan. Wenn sich an einer Debatte aber plötzlich besonders viele Accounts beteiligen, die von blauen Schildern und/oder Deutschlandfahnen geziert werden, lohnt es sich unter Umständen die Blockliste zu erweitern, um sich nicht als Multiplikator für rechte Propaganda missbrauchen zu lassen.
Am Nachmittag des 08.04. verkündete die britische Regierung gute Nachrichten: Boris Johnson sei stabil und die Behandlung schlage an. Er sei gut gelaunt.
Das ist auch dann erfreulich, wenn man Boris Johnson für einen opportunistischen, falschen, populistischen, nationalistischen, lügenden, narzisstischen, homophoben, rassistischen, sexistischen Antidemokraten hält.
Dustin Hoffmann