Helden des parlamentarischen Alltags (Folge 1 von 1)

Gestern hat der Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf die Angehörigen der Gattung Homo sapiens sapiens (und Andi B. Scheuert) über den offiziellen Beginn des Postholozäns informiert.

Und während deutsche Ratspräsidentschaft & Kommission unbeschwert in ihren wurstigen Greenwashing- & Industrierettungs-Gelagen schwelgen, begibt der französische Freak Pierre Larrouturou sich in einen Hungerstreik.

Der Mann ist ein Kollege von mir, EU-Abgeordneter, Berichterstatter für den europäischen Haushalt 2021 & hat eine romantische Schwäche für Gerechtigkeit, Klimaschutz & existentielle Notwendigkeiten.

Im Gegensatz zu Merkel, Scholz & Frau vonderLeyen, die noch immer unbeschwert die Snackautomaten ihrer (jeweiligen) Hauskantinen plündern, ist dieser Mann hier verzweifelt.

Der kommende EU-Haushalt wurde von den EU-Regierungschefs im Rat ausgeklüngelt, die deutsche Ratspräsidentschaft will ihn in seinem jetzigen Zuschnitt (inkl. aller Fehlallokationen im Bereich Agrarpolitik/GAP) schnellstens durchdrücken & übt daher massiven Druck auf das Parlament aus. Hat das Parlament den Haushaltsrahmen einmal verabschiedet, steht er für 7 Jahre fest. Es ist also entscheidend, wofür hier Gelder vorgesehen werden und wofür nicht.

Larrouturou hält es für obszön, dass die EU-Regierungschefs ihren Bürgern durch die Blume eines siebenjährigen Haushaltsentwurfs erklären, es sei in dem 1074 Milliarden schweren Budget leider nicht ausreichend Geld für Klimaschutz, Gesundheit, Beschäftigung oder Wissenschaft vorhanden, während die Finanzmärkte unverändert & unversteuert prosperieren.

Er hat einen Kommissionsvorschlag von 2011 ausgegraben, der unter José Manuel Barroso, DEM BARROSO (kein schlimmer Kommunist, sondern ein “Guter”, der von Goldman Sachs. Smiley) fix und fertig entworfen, aber niemals umgesetzt wurde.

Durch eine einfach einzuführende Spekulationssteuer von lächerlichen 0,1% würde die EU Eigenmittel in Höhe von ca. 57 Milliarden jährlich generieren, die sie problemlos zur Rückzahlung der gemeinsamen Corona-Schulden & vor allem zur Bekämpfung des Klimawandels einsetzen könnte.

Das ist ein großartiger, genialer, grandioser, gerechter, verantwortungsvoller, zukunftsweisender, anbetungswürdig gemeininteressenorientierter Vorschlag, gegen den NICHT DAS GERINGSTE einzuwenden ist.

Warum das jemandem wie Olaf Scholz (angeblich: Sozialdemokrat) nicht eingefallen ist, kann ich mir gar nicht erklären. ZwinkerSmiley!

Derzeit laufen die Trilog-Verhandlungen zum Haushalt zwischen Rat, Kommission und Parlament in ihrer x-ten Runde. Dort geht es derzeit um Herkunft und Höhe künftiger EU-Eigenmittel. Bereits verabredet ist nur die sogenannte Plastiksteuer (Abgabe auf nicht recyceltes Plastik), Einnahmen aus einem erweiterten europäischen Emissionshandel, aus CO2-Zöllen sollen folgen.

Die Einführung der lange überfälligen Digitalsteuer wird vom deutschen Ratsvorsitz derweil ebenso hintertrieben wie die Einführung einer ECHTEN FINANZMARKTTRANSAKTIONSSTEUER (nicht der gleichnamigen Fake-Steuer eines O. Scholz, angeblich Sozialdemokrat). Ob das wirklich im Sinne der EU oder der Mehrheit ihrer 450 Millionen Bürger ist, wage ich vorsichtig zu bezweifeln.

Pierre Larrouturou ist EU-Abgeordneter. Sein einfach zu verstehendes, einfach umzusetzendes und schlicht brillantes Kalkül hat er den zuständigen Institutionen & der deutschen Ratspräsidentschaft in unendlichen argumentativen Wiederholungsschleifen vorgetragen, vorgerechnet und vermutlich auch noch vorgetanzt. Ohne Erfolg.

Der Mann schwört, er werde seinen Hungerstreik erst beenden, wenn Merkel, vonderLeyen & Scholz (angeblich Sozialdemokrat) endlich bereit sind, die für den Klimaschutz notwendigen Mittel in den Haushaltsrahmen aufzunehmen.

P.S.: Was für ein Parlamentarismus, in dem einem zurechnungsfähigen Abgeordneten nichts bleibt als ein Hungerstreik.

PPS: Nach Diktat zum Frühstück.