Gedanken zu Schlingensief

Ich erhielt eine Bitte, mir ein paar Gedanken zu Schlingensief zu machen. Bitte sehr:

Schlingensief tot, immer noch? Vielen Dank, dass Sie mich daran erinnern. Schlingensief & Schirrmacher tot, Döpfner & Andi B. Scheuert leben; und das in diesen zunehmend dämlicher werdenden Zeiten.

Ich habe ihn nur einmal persönlich getroffen. Wenn ich mich recht erinnere, war es irgendwann nach der Jahrtausendwende in einer unbeschwert lauen Sommernacht gegenüber der Berliner Volksbühne. Ich war vollkommen betrunken, suchte mit meinem linken Fuß sicheren Stand und setzte mit dem rechten gerade zu einer fulminanten Kapitalismuskritik an, als ich Schlingensief direkt auf mich zukommen sah.

Wir waren uns nie vorgestellt worden, ahnten aber offenbar zumindest, wer der jeweils andere war. Schließlich hatten wir das Land unter uns aufgeteilt, er filetierte den Westen, wir mit „Titanic“ den Osten. Grüßen oder nicht grüßen, das war für mich die Frage, schließlich gehörte er zu den wenigen Künstlern die ich respektierte, er arbeitete mit Komik, Klugheit, satirischen Mitteln, einem gesunden Kaliber an Aggression.

In einer Kunstaktion für die Deutsche Bank Geldscheine vom Balkon des Reichstages werfen zu wollen („Rettet den Kapitalismus – schmeißt das Geld weg!“) und dann von Brigitte Seebacher-Brandt gestoppt zu werden; mit Zehntausenden von Arbeitslosen den Wolfgangsee zu überschwemmen, um dadurch Helmut Kohls nahegelegenes Ufer-Domizil zu fluten; überhaupt: „Tötet Helmut Kohl!“; der „Big-Brother“-Container mit Asylsuchenden in Wien nach Haiders Regierungsbeteiligung; eine eigene Partei namens „Chance 2000“ zu gründen und damit die Grenzen zwischen Kunst und Politik zu zerbröseln – was für wunderbare Ideen!

Seit 15 Jahren bin ich Vorsitzender einer sog. Satire-Partei. Und weiß, wie viel Freude empörte Reaktionen von verstörten Verwaltungsbeamten bereiten können.
Um die Reaktion des damaligen Bundeswahlleiters Johann Hahlen, der später auch die PARTEI zur Bundestagswahl zulassen musste, beneide ich Schlingensief.
Nachdem er die überschuldete „Chance 2000“ kurz vor der Bundestagswahl im Kleinanzeigenteil der „taz“ zum Verkauf angeboten hatte, erklärte der Bundeswahlleiter humorlos: „Die Gesetze lassen eine Veräußerung nicht zu.“ Und drohte für den Fall, dass die Partei sich stattdessen auflösen sollte, dass die aufgestellten Kandidaten im Falle ihrer Wahl trotzdem in den Bundestag einziehen müssten. Smiley!

Schlingensief grüßte mich herzlich, ich ihn ebenfalls. Was wir geredet haben, weiß ich nicht mehr. Nur noch, dass anschließend auch der zweite und dritte Tritt den pompösen linken Außenspiegel der silbernen S-Klasse absolut unbeeindruckt ließen.