Ein paar trockene Anmerkungen zum “Erfolg” der deutschen Ratspräsidentschaft beim EU-Gipfel. Vorsicht, enthält noch’n paar Rechtschreibenfähler, Satzkaskaden meiner Europapolitischen Beraterin, Beschimpfungen der doofen osteuropäischen Oligarchen & Erkenntnisse, die den meisten deutschen Medien verborgen geblieben sind… Smiley!
Es ist nämlich so: Eines Tages fiel dem EU-Parlament auf, dass die EU mittlerweile ein paar ziemlich komische Mitglieder enthält. Solche, die man der interessierten Öffentlichkeit oder dem Europarechtler von nebenan nicht mehr als „wertekonforme Rechtsstaaten“ vorstellen kann, ohne ROT zu werden. Ganz vorn natürlich Ungarn unter Orbans Fidesz & Polen unter der doofen PISS-Partei, aber in etwas abgeschwächter Form auch Bulgarien, Rumänien, Slowakei etc. (Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Smiley)
Nach ihrem jeweils pünktlich zum EU-Beitritt fertig gewordenen Rechtsstaatsaufbau waren sie auf dem dornenreichen Weg zur gefestigten Demokratie dann doch wieder ein paarmal zu oft falsch abgebogen und hatten sich, ohne dass die EU (oder die EVP) das übrigens jemals ernsthaft moniert hätte, total vergnügt in illiberale Kaputtnik-Staaten (zurück-)verwandelt. Mit kleinen, dicken, hässlichen Oligarchen an ihrer Spitze, deren Machtausbau und -sicherung nicht zuletzt darauf beruhte, dass sie EU-Gelder in Milliardenhöhe an Brüder, Schwestern, Vettern & Vattern, Freunde & Söhne, Söhne von Freunden, Parteigänger und willfährige DorfbürgermeisterInnen ausschütteten. (Und über Subventionen auch an skrupellose deutsche Unternehmen wie Audi, Mercedes, Bosch, BMW… aber das würde jetzt zu weit führen.)
In mehreren Entschließungen seit 2016 forderte das EU-Parlament jedenfalls die Kommission auf, einen Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte zu entwickeln – um Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit mit etwas zu ahnden, das (nach traditioneller Lesart) wirklich WEH TUT: dem Entzug von GELD.
2018 entwickelte die Kommission – unter meinem alten Kumpel Jean-Claude Drunker, der sein Handwerk noch verstand, und im Unterschied zu Frau vonderLeyen Überzeugungen hatte – also ein Instrument, das nach der Feststellung grundlegender Verstöße gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit automatisch zur Kürzung von EU-Geldern für die betroffenen Mitgliedsstaaten führen sollte.
Zur Abwendung derartiger Sanktionen hätte jeder angehende Schurkenstaat eine hohe Hürde überspringen müssen, nämlich die Mobilisierung einer qualifizierten Mehrheit von Mitgliedsstaaten im Rat.
Ganz einfache Sache, das: WENN systematische Schwächung der Justiz (Huhu, Kartoffel Kaczyński!), systematische Einschränkung von Bürgerrechten, Wissenschaft & Forschung (Huhu, Viktator Orban!) (Huhu, Günther Oettinger!), Kriminalisierung von NGOs und LGBTQ & Gleichschaltung der Medien (Huhu, Kaczyński & Orban!) und so weiter und so fort – DANN automatische Kürzung des EU-Geldregens.
FunFact: Junckers Kommission plante einen Mechanismus, der absichtlich so konzipiert war, dass er unabhängig von jeder Haushaltsverhandlung und unabhängig vom Einstimmigkeitsprinzip durch eine qualifizierte Mehrheit im Rat hätte verabschiedet werden können.
FunFact II: Die Verknüpfung beider Bereiche – Rechtsstaatsmechanismus & Haushalt – geht auf eine strategische (Fehl-) Entscheidung der deutschen Ratspräsidentschaft (Huhu, Merkel!) zurück. Sie brachte den Rechtsstaatsmechanismus einfach nicht – wie von der Kommission geplant – isoliert zur Abstimmung, obwohl er im Rat natürlich zu jeder Zeit die erforderliche Mehrheit hatte. Erst das versetzte die osteuropäischen Schurken letztlich in die Lage, den gesamten Haushalt zu blockieren & den kultivierteren Ratsgenossen mit plumper Erpressung zu begegnen. (Wie bei den Sopranos, nur unsympathisch.)
Auf der Ratssitzung im Juli 2020 stellte Deutschland einen Kompromiss vor. Engagierteren Europarechtlern trieb er Tränen in die Augen. Denn er enthielt nicht nur eine deutliche Abschwächung des ursprünglichen Kommissionsentwurfs, sondern veränderte das Rechtsstaatsinstrument auch in seinem Wesenskern. Durch eine prozedurale Umkehr des Verfahrenszuschnitts sollte der Mechanismus nun nicht mehr automatisch, sondern erst dann ausgelöst werden können, wenn eine qualifizierte Mehrheit im Rat dafür stimmen würde. In jedem einzelnen Fall. Hmmm. (Für die Nicht-EU-Rechtler unter Ihnen: das ist ein langwieriges, umständliches Verfahren.)
Während der Mechanismus ursprünglich als Reaktion auf die Missachtung von EU-Grundwerten gedacht war, könnte er in seiner „Kompromiss-Fassung“ nur dann zur Anwendung kommen, wenn explizit und direkt die “finanziellen Interessen der EU” betroffen wären. Das weite Feld der Rechtsstaatlichkeit, deren Abbau in verschiedenen Staaten seit Jahren eindrucksvoll zu besichtigen ist, beträfe er somit gar nicht mehr.
Mit anderen Worten: Der Rechtsstaatsmechanismus, von dem auch jetzt noch als solchem die Rede ist, ist gar kein Rechtsstaatsmechanismus mehr, sondern bestenfalls ein Mittel zur Korruptionsbekämpfung.
FunFact III: „Das Instrument wird ein scharfes Schwert sein.” Michael Roth (SPD) (Europa- Staatsminister) (Idiot)
(Das neue „scharfe Schwert“ der deutschen Ratspräsidentschaft kann ausschließlich gegen zweckentfremdenden EU-Mitteleinsatz einzelner Staaten gerichtet werden. Das ist toll, aber das gibt es schon. Und zwar seit 20 Jahren. Die zu diesem Zweck geschaffene Behörde heißt OLAF (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung); sie ist dem Kommissar für Steuern und Zollunion zugeordnet und ihre Aufgabe ist die „Bekämpfung von Betrug, Korruption und allen anderen rechtswidrigen Handlungen, durch welche die finanziellen Interessen der Europäischen Union geschädigt werden“.)
Dass die osteuropäischen Staaten sich nach der Ratssitzung im Juli lustigerweise erdreisten, den ohnehin faulen Kompromiss, der auch noch mit erheblichen finanziellen Zugeständnissen an sie verbunden war (Polen und Ungarn wurden überproportionale Coronahilfen zugesagt, die das Maß ihrer Betroffenheit durch die Pandemie weit überstiegen), mit großem Pathos zurückzuweisen und einen neuerlichen Kompromiss zum Kompromiss zu fordern, düpiert Merkel und ihre dämliche Appeasementpolitik eigentlich zu Recht. So impertinent haben sich die renitenten Briten in 40 Jahren nicht verhalten; gegen Orban war Maggie Thatcher eine charmante alte Schachtel.
Um es allen Interessierten NOCH und wieder EINMAL ins Kurzzeitgedächtnis zu rufen: Niemand hat den osteuropäischen Staaten, die die EU neuerdings ja gern mit der sympathischen UdSSR unter dem sympathischen Despoten Stalin vergleichen, auch nur das Geringste aufgezwungen. Wirklich niemand. Mit ihrem haushalts- und wirtschaftspolitisch sicherlich nicht uninteressanten und völlig freiwilligen Beitritt zur EU haben sie sich selbst völlig freiwillig dazu verpflichtet, fortan die sogenannten Grundwerte der Union zu achten. Die absolut unabdingbare Basis dieses (ansonsten in vielerlei Hinsicht verlogenen, inkonsistenten und mit Recht hinterfragenswerten) Grundwertekanons, gleichsam ihren URSCHLAMM, sieht die Europäische Union nun einmal in, täräää: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Und obwohl dem Europäischen Parlament und der interessierten Welt immer wieder blumig versprochen wurde, dass die sogenannten Grundwerte der sogenannten EU nun wirklich UNVERHANDELBAR seien, TOP1-Priorität!, Strategischer Fokus forever! oder WAS AUCH IMMER, erlebte eine überraschte europäische Öffentlichkeit mehrfach nun genau das, was Frau vonderLeyen und Merkel zuvor mehrfach blumig ausgeschlossen hatten. Nämlich: Verhandlungen über das Unverhandelbare; strategisch-taktische Mauscheleien der angeblichen Rechtsstaatsverfechter mit denen, die sie lächerlich machen: ihren offensichtlichen Verächtern. Das gab es oft, das wird es noch oft geben. Gelangweilte Kenner dieses Prozederes preisen die EU genau für diese eine ihrer unzähligen Eigenschaften: die Fähigkeit, so lange zu verhandeln, bis ein Kompromiss gefunden ist. Toll, schön, gähn.
Diesmal allerdings geht es – anders als sonst – nicht um den Zuschnitt von Agrar-, Puszta- oder Blumentöpfen. Diesmal geht es um etwas, ohne das die EU eigentlich auch gleich aufhören könnte, fortzuexistieren oder sich – wenigstens – endlich einmal offen als das krakeelende Projekt einer kränkelnden Moderne zu erkennen gibt, als das sie ohnedies längst in Erscheinung tritt.
VonderLeyen und Merkel, deren machtversessene Parteien CDU und EVP seit Jahren ihre schützende Hand über jeden korrupten Autokraten aus dem Osten gehalten und so ihre Aufstiege und Machtzementierungen mit ermöglicht und befördert haben, haben sich nun endgültig in schmuddeligstes Fahrwasser begeben. Die EU paktiert mit autokratischen Regimen, anstatt ihren Bürgern Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten.
Einer empirischen EU-Studie zufolge unterstützen 77 % der europäischen Bürger einen Rechtsstaatsmechanismus, der die Auszahlung von Mitteln des EU-Haushalts (also ihrer eigenen Steuergelder) an die Bedingung der Rechtsstaatlichkeit knüpft: Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz, Korruptionsbekämpfung, Schutz von Persönlichkeits- und Minderheitenrechten etc. Und selbst 72 % der ungarischen und 72 % der polnischen Bürger (haben die sich abgesprochen oder was?).
DIESEN BÜRGERN, drei Vierteln der europäischen Gesamtbevölkerung, sollten die europäischen Institutionen verpflichtet sein. NICHT den kaputten Macht- und Bereicherungsstratagemen der korrupten Autokraten an ihrer Spitze.
Und während die PISS-Partei mit dem Ankauf von 140 polnischen Provinzzeitungen der Verlagsgruppe Passau durch den staatlichen Ölkonzern Orlen gerade einen weiteren Schritt zur Vollendung ihrer in aller Offenheit betriebenen Gleichschaltungsphantasien zur „Repolonisierung“ der Medien unternommen hat; während die staatstreuen ungarischen Medien nach dem PR-Debakel um ihren bigotten EU-Parlamentarier Joszef Szajer (stellvrtr. Vorsitzender der christlichen EVP: CDU/CSU & Freunde – huhu, Manfred Streber!), dessen unbekleidete Flucht von einer aufgeflogenen Gangbang-Party in Brüssel an einer Regenrinne endete, gerade mit dem total glaubwürdigen Narrativ versieht, der ehrenwerte „Herr“ sei Opfer eines maßgeblich vom BND (pfff, als könnten die sowas…) eingefädelten Komplotts zur Diskreditierung Ungarns geworden; und das Nationale Sicherheitskomitee eine Untersuchung zur Aufdeckung der Urheberschaft der deutschen Geheimdienste eingeleitet hat; während all dies also gerade zeitgleich geschieht, verhandelt die deutsche Ratspräsidentschaft in aller Seelenruhe mit osteuropäischen Pupspopulisten den Kompromiss zu einem Kompromiss, der Europarechtlern erneut die Tränen in die Augen treibt.
Dieser nochmalige Kompromiss nimmt die besagten Armleuchter nämlich nicht nur gänzlich aus der Schusslinie, sondern stellt auch noch sicher, dass sie mit wachsender Unterstützung durch EU-Mittel & völlig unbehelligt durch jedwede Kürzung ihre nächsten semidemokratischen Wahlen gewinnen können.
Durch einen seltsamen Zusatz zum ursprünglichen Kompromissdokument befiehlt der Rat der Kommission nun schlußendlich noch, den Mechanismus nicht zur Anwendung zu bringen, bis der Europäische Gerichtshof ihn geprüft hat. Das wird gute zwei Jahre dauern. Damit werden den osteuropäischen Potentaten die größten Geldsummen zur Verfügung gestellt, die sie je in Empfang nehmen durften. Und das nicht nur ohne jede Bindung an die – eigentlich „unverhandelbaren“ – Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, sondern auch in der Gewissheit, für keinen der kommenden Korruptionscoups je belangt zu werden, denn es wurde Wert darauf gelegt, dass das „scharfe Schwert“ der EU nicht RÜCKWIRKEND angewendet werden kann.
Einige Europarechtler dürften mittlerweile in ihre Tastatur gebissen haben. So etwas hat es in der von ihnen erforschten Geschichte der von ihnen erforschten Institutionen nämlich noch nie gegeben. Der Rat bricht europäisches Recht, um europäisches Recht durchzusetzen, Smiley! Eigentlich hat der Rat nämlich gar nicht das Recht zu beschließen, was er gerade beschlossen hat.
Der Rat KANN schlicht nicht im Namen einer ganz anderen, unabhängigen europäischen Institution, sprechen – oder dieser gar befehlen, ein noch näher zu modellierendes Instrument GAR NICHT ERST ZUM EINSATZ ZU BRINGEN! Schnappatmung!
Die Kommission unter Frau vonderLeyen lässt sich damit endgültig zum Sekretariat des Rates degradieren. Oder, schlimmer noch, zum Sekretariat der deutschen Ratspräsidentschaft. Kein Wunder, dass das niederländische Parlament in der letzten Woche seine Regierung aufgefordert hat, mit einer eigenen Klage gegen Polen vor den Europäischen Gerichtshof zu treten, weil die Kommission sich als unfähig erwiesen hat, als „Hüterin der Verträge“ (Elmar Brocken) die Rechtsstaatlichkeit in der EU zu garantieren.
72 % der ungarischen und polnischen Bevölkerung werden damit ebenso kaltblütig im Regen stehen gelassen wie die politische Opposition in beiden Staaten, die seit Jahren immer verzweifelter darauf hofft, dass die EU doch endlich einmal ein Zeichen ihrer Missbilligung dieser generalstabsmäßigen Rechtsstaatsaushöhlungen aussenden möge. Sie werden wohl noch etwas warten müssen. Rülps.